Hitlers williger Kampfhund

Der Historiker David Irving behauptet, dass in Auschwitz weit weniger Juden ermordet wurden und dass Hitler von den Morden nichts gewusst hat. Heute soll ein Gericht in London entscheiden, ob man ihn deshalb als Holocaust-Leugner und Antisemiten bezeichnen darf
von BRIGITTE MASS

„Zu viele Hunde sind des Hasen Tod“, sagt David Irving und meint mit dem Hasen sich selbst. In der Tat ist der Gerichtssaal Nr. 73 der Londoner Royal Courts of Justice angefüllt mit Angehörigen der Gegenseite, älteren Damen mit lockeren Haarknoten; sie raunen, wenn der selbst ernannte Historiker Sätze von sich gibt wie: „Gaskammern sind Legenden und Erfindungen der britischen Propaganda.“ Viele von ihnen kommen aus der jüdischen Gemeinde, unter ihnen Auschwitz-Überlebende.

Sich die älteren Herrschaften als Hunde vorzustellen fällt schwer: Leichter wird es, wenn man die Analogie herumdreht und David Irving als den bissigen Hund begreift, der eine Menge von Hasen vor sich hertreibt: Schließlich ist Irving, der Verfasser von Büchern über Goebbels’ Tagebücher und Hitlers Krieg, der Ankläger in diesem Prozess. Seine Thesen sind jenseits des Konsenses der modernen Geschichtswissenschaft angesiedelt: Es seien weit weniger Juden in den Gaskammern umgekommen, als gemeinhin angenommen, und Hitler hätte von diesen Morden nichts gewusst.

Steif steht er da, von bulliger Statur, stets im Nadelstreifenanzug. Er schwankt ein wenig, den linken Arm nach unten durchgestreckt, während er mit dem rechten gestikuliert. „Er ist der Typ Gentleman, wie man ihn unter britischen Neofaschisten der alten Schule häufiger findet“, sagt David Cesarani, Professor für moderne jüdische Studien, über ihn. Irving, der 62-Jährige, ist stolz darauf, dass er während der gesamten Verhandlung steht. Der Berliner Politikprofessor Hajo Funke, von der Verteidigung als Experte zu Irvings Kontakten zu deutschen Neonazis geladen, dagegen sitzt – das bereitet ihm Genugtuung.

Irving will seine Thesen ernst genommen wissen, und das hat ihm die Historikerin Deborah Lipstadt, die er als eine seiner wichtigsten Gegnerinnen begreift, bisher versagt. In ihrem Buch „Denying the Holocaust“ hatte sie behauptet, Irving sei ein Leugner des Holocaust und ein Ultranationalist, der Neonazis in die Hände spiele. Er würde historische Wahrheiten verbiegen, um sie für seine Ideologie passend zu machen. Öffentliche Diskussionen aber lehnte sie mit der Begründung ab, man würde von Vertretern der Nasa auch keine ernsthafte Stellungnahme zu der Behauptung „Die Erde ist eine Scheibe“ erwarten. Irving also, auch hier ganz englischer Herr, sieht seinen Ruf geschädigt und kann das nicht auf sich sitzen lassen. Und weil Frau Lipstadt sich nicht wissenschaftlich duellieren mag, zieht er vor Gericht und klagt gegen sie und den Penguin Verlag. Sie seien schuld daran, dass seine Reputation als Historiker Schaden genommen habe, ihm würde dadurch ein finanzieller Nachteil entstehen.

Während des drei Monate andauernden Prozesses bekam Irving die wissenschaftliche Beachtung, die er sich erwünscht. Die renommiertesten Holocaust-Forscher traten gegen ihn an, um zu beweisen, dass es den Holocaust auch wirklich gegeben hat. Der niederländische Architekturexperte van Pelt bewies, dass es in Auschwitz wirklich Gaskammern gegeben hat, in denen Juden fabrikmäßig getötet wurden, der Berliner Politikprofessor Hajo Funke nahm Stellung zu Irvings Beziehungen zu deutschen Neonazis, die Historiker Christopher Browning und Richard Evans sagten aus.

Einige Experten, die Irving zur Untermauerung seiner Meinung heranzog, kamen nicht freiwillig, sondern wurden vom Richter vorgeladen; der emeritierte Professor der London School of Economics, Donald Cameron Watt, zum Beispiel. Das passt zu Irvings Selbstverständnis als wissenschaftlicher Outcast, der glaubt, gegen eine jüdische Verschwörung ankämpfen zu müssen. Gefragt, warum er davon überzeugt sei, er allein sei im Besitz der Wahrheit, wo doch Generationen von Historikern sich auf gegenteilige Aussagen verständigt haben, antwortet er: „Die schreiben doch alle nur voneinander ab.“ Sie seien „zu faul“, die Originalquellen zu prüfen. Momentan stellt Irving seine Thesen von London aus ungehindert ins Internet. „2.000 Besucher pro Tag“, behauptet er stolz.

Vor Gericht vertritt sich Irving selbst. In nervöser Anspannung steht er da, redet schnell, versucht, in die Lücken der Expertengutachten vorzustoßen. Ein Befehl zur „Endlösung“, von Hitler unterzeichnet, sei nie gefunden worden – Irving folgert daraus, diesen Befehl habe es gar nicht gegeben. Ein Zeitzeuge kann sich fünfzig Jahre später nicht mehr ganz genau an ein Datum erinnern – der Zeitzeuge ist unglaubwürdig, der von ihm beschriebene Vorfall, etwa die Beobachtung, dass in Auschwitz Insassen in die Gaskammern geführt wurden, hat nicht stattgefunden. Immer wieder wird Irving vom Richter zurechtgewiesen, er solle sich nicht in Details verlieren.

Die Verteidigung bemüht sich, nachzuweisen, dass Irving nicht nur den Holocaust leugnet, was an sich in Großbritannien nicht strafbar ist, sondern dass er auch Antisemit und Rassist ist und damit gegen das Gesetz verstößt. So führt Anwalt Rampton beispielsweise die selbst gedichteten Wiegenlieder an, die Irving seiner kleinen Tochter Jessica zum Einschlafen vorsingt: „I am a Baby-Aryan / not Jewish or Sectarian / I have no plans to marry an / Ape or Rastafarian.“ Großbritannien sei ein wichtiges Zentrum der Holocaust-Leugner in Europa, meint Professor Cesarani: „Dieser Prozess kann zeigen, dass die Leugnung des Holocaust untrennbar mit dem Gedanken der Überlegenheit der arischen, der weißen Rasse verknüpft ist. Wenn Deborah Lipstadt gewinnt, dann wird es leichter werden, solche Leute zu belangen.“

Viel Mühe verwendet Irving darauf, die Journalisten für sich einzunehmen, gibt sogar eine Minipressekonferenz bei sich zu Hause. Im noblen Londoner Innenstadtbezirk Mayfair bewohnt Irving mit seiner Frau, einer neben ihm besonders zart und jung wirkenden Dänin, und der gemeinsamen Tochter ein geräumiges Apartment. Finanziert wird das von gutmeinenden Geldgebern. Während der Rest der Familie im Wohnzimmer eine Zeichentrickserie ansieht, hält der Hausherr in seinem Arbeitszimmer Hof. An der Wand ein Porträt Roosevelts, auf einem Sims steht eine Luftaufnahme des Krematoriums 2 in Auschwitz-Birkenau. Anhand dieses Bildes erläutert er den staunenden Journalisten, dass man die Löcher im Dach, durch die das Zyklon B eingeführt wurde, heute nicht mehr nachweisen kann. Und zieht einen weiteren seiner schnellen Schlüsse: Dann kann dort auch niemand vergast worden sein.

Als seine Tochter ins Zimmer stürmt, wird er plötzlich laut, herrscht seine Frau an: „Take Jessica out!“, und verliert für einen Moment seine Gentleman-Etikette. Dann jedoch merkt er, dass die stupsnasige Kleine, die den Fotografen die Zunge herausstreckt, ihm Pluspunkte einbringt, und nimmt sie für ein paar Aufnahmen auf den Schoß – vor der Kulisse des Krematoriums 2. Zurück in die Defensive, den liebenden Familienvater geben, den zu Unrecht von der Fachwelt Verfemten.

Aber so ganz hält er das dann doch nicht durch. Beim Hinausgehen übermannt ihn die Lust am Schocken, und er zieht aus einer dunklen Ecke ein kleines Bildchen, ein gezeichnetes Frauenporträt: „Das hat der Führer gemalt. Eva Braun. Und auf der Rückseite, das ist er selbst.“ Da ist er wieder, der Kampfhundinstinkt.

Keiner kann vorhersagen, wie der Prozess ausgehen wird. Sollte Iriving verlieren, so wird das seine These vom benachteiligten Outsider unterfüttern. Lipstadt sei schließlich vom Jewish Committee mit umgerechnet 15 Millionen Mark versorgt worden. Und gegen ihren Anwalt Richard Rampton wähnt er sich schon deshalb im Nachteil, weil der ein alter Bekannter des Richters sei. Heute wird das Urteil gesprochen.

Zitat: AUS EINEM WIEGENLIED:„I am a Baby-Aryan / not Jewish orSectarian / I have no plans to marryan / Ape or Rastafarian“