: Aus Schaden wird man klug
Michael Naumann stellte eine Website vor, die die Suche nach Kulturgütern, die während der NS-Zeit geraubt wurden, erleichtern soll. Die Datenbank möchte aber auch Prototyp für die Fahndung nach aktuell geraubtem Kunstgut sein
von BRIGITTE WERNEBURG
Sind die Direktoren der großen deutschen Museen böse Menschen, die kostbarste Hehlerware aus dunkler Nazizeit in noch dunkleren Hinterzimmern verstecken? Nur weil sie nicht auf ein Rundschreiben des frisch installierten Kulturstaatsministers anworteten, der sie nach der Washingtoner Konferenz zu Vermögensfragen von Holocaust-Opfern 1998 bat, ihre Bestände doch bitte noch einmal nach Objekten zweifelhafter Herkunft zu durchforsten? Zeitweilig schien sich die Fragerunde bei der Pressekonferenz zur so genannten „Linzer Sammlung“ auf diese Frage zuspitzen zu wollen.
Die Antwort heißt selbstverständlich nein. Und dennoch. Als mit dem neuen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, auch hier eine neue Politik in den hehren Häusern Einzug hielt, fanden sich nur innerhalb eines Jahres Kunstgegenstände im Wert von 20 Millionen Mark, die nun restituiert werden. Dieses Beispiel führte Michael Naumann an, um zu belegen, dass sich die weitere Suche lohnt. Auch wenn der Verlust hier wehgetan haben mag, aus Gründen des moral standing lohnt sich die Sache für die Institution allemal. Denn die Frage der Entschädigung ist keine von verjährten Rechtstiteln, sondern wie zuletzt immer wieder erfahren, höchst aktuell. Aus (Image-) Schaden wird man klug.
Nun sind also die Museen, Bibliotheken, Archive und sonstigen Sammlungen in Deutschland abermals aufgefordert, in ihrem Besitz befindliche Artefakte zu veröffentlichen, bei denen nicht auszuschließen ist, dass es sich um gestohlene oder anderweitig „verfolgungsbedingt entzogene“, das heißt damals schlicht begehrte Kunstgegenstände handelt.
Für dieses Öffentlichmachen steht nun ein ganz neues Instrument zur Verfügung, das berechtigte Hoffnungen weckt, dass sich die Geschädigten und ihre Erben in Zukunft eher melden werden als bisher, da ihnen die Suche erheblich erleichert wird. Das neue Instrument ist das World Wide Web. Von der 1994 eingerichteten und seit 1998 beim Kultusministerium von Sachsen-Anhalt angesiedelten „Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern“ verantwortet, erschließt www.LostArt.de nun die Daten der 2.200 Objekte der so genannten „Linzer Liste“ , die korrekter als „Restbestand CCP München“ firmiert. Es handelt sich also um Kunst, die die Alliierten nach Kriegsende zur Rückerstattung zusammenführten. Nach Auflösung des „Central Collecting Point“ landete dieser Restbestand schließlich 1969 beim Bundesfinanzministerium. Der Name „Linzer Liste“ oder „Linzer Sammlung“ ergab sich, weil ein Großteil der geraubten Artefakte für das „Führermuseum“ in Linz bestimmt war.
Im Ganzen gesehen ist die nun im Web veröffentliche Sammlung keine von Weltrang. Sie hat ihre Highlights, aber auch eine Masse zweit- und drittrangiger Werke des Zeitgeschmacks. Die Veröffentlichung lässt aber den direkten Rückschluss nicht zu, es handle sich notwendigerweise um ein illegal erworbenes Kunstwerk. Die Geschädigten sind in hohem Maße jüdische Familien und Sammler, aber auch Museen, Archive und Bibliotheken in den von Deutschland besetzten Ländern. Da auch hierzulande Kunstwerke abhanden kamen, sollen auch deren Daten peu à peu auf der Website veröffentlich werden, wie etwa jetzt schon die der vermissten „Beutekunst“ aus den öffentlichen Sammlungen von Sachsen-Anhalt und Berlin.
Da die Datenbank in Zusammenarbeit mit dem technischen Know-how der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg entwickelt wurde, hofft man von dieser Seite eine konkurrenzfähige Software zu haben, die sich bei der Fahndung nach aktuellem internationalen Kunstraub verwerten lässt. Aus (Image-)Schaden wird man eben klug.
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