: Bei Merkel ist Kohl wieder wer
Die neue CDU ist – die ganz alte. Auf den nachdenklichen, nüchternen Wolfgang Schäuble folgt eine Angela Merkel ohne Scheu vor Demagogie
aus EssenBETTINA GAUS
Die CDU ist wieder da – nicht die neue, sondern die alte. Es ist alles so vertraut. Gewiss, der Jubel der Delegierten gilt nun nicht mehr einem Mann an ihrer Spitze, sondern einer Frau. Das ist aber auch der einzige Unterschied, sieht man davon ab, dass die Begeisterung vielleicht noch ein bisschen größer ist als bei früheren Gelegenheiten.
Rekordapplaus: Mehr als sechs Minuten lang spendet der Parteitag Angela Merkel stehende Ovationen. Die Delegierten zeigen sich überwältigt. „Es ist ungeheuer schwer, jetzt noch die rechten Worte zu finden“, meint der erste Redner in der Aussprache. Aber er wolle doch sagen: „Eine klasse Rede. Das reicht eigentlich auch schon.“
So sieht sie aus, die neue Diskussionskultur der CDU.
Galt Angela Merkel je als zurückhaltend? Als liberal? Als „links“ gar, was immer darunter in der CDU zu verstehen ist? „Wir müssen uns von niemandem den Rechtsstaat erklären lassen. Nicht von Gerhard Schröder, nicht von Rezzo Schlauch und schon gar nicht von Herrn Ströbele“, ruft sie unter tosendem Beifall in die Essener Gruga-Halle hinein. „Herr Ströbele will diese Republik zerstören.“ Den Rechtsstaat wolle der Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen zerschlagen. Deshalb „lassen wir uns von ihm auch nicht sagen“, wie mit den Stasi-Abhörprotokollen zu verfahren sei. Schon da hält es die Delegierten des CDU-Parteitages kaum noch auf ihren Plätzen.
Es spielt jetzt keine Rolle, dass es für den Umgang mit Stasi-Akten genau festgelegte rechtsstaatliche Verfahrenswege gibt. Um Gefühle und Geschlossenheit geht es, nicht um Fakten. Die Welt als Wille und Vorstellung: Nicht Jürgen Rüttgers als Bildungsminister hat im Zusammenhang mit dem Thema Ausbildung versagt, sondern Gerhard Schröder als niedersächsischer Ministerpräsident. Die alte Regierung hatte mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit nichts zu tun. Daran ist vielmehr die verfehlte Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik von Rot-Grün schuld. Keine Scheu vor Populismus – keine Angst vor Demagogie.
Über Monate hinweg hat sich Angela Merkel zur Vorkämpferin einer „schonungslosen Aufklärung“ der CDU-Spendenaffäre gemacht. In dieser Rolle ist sie von einer tief verunsicherten Basis, die verzweifelt nach einer neuen Lichtgestalt suchte, bis an die Spitze ihrer Partei hinaufgetragen worden. Oben angekommen, will sie nun vor allem eines: Dieser Basis das Gefühl zurückgeben, dass ihr Weltbild in Ordnung ist. Heute ebenso wie früher. „Wir sind wieder da!“ Und: „Wir sind die Gewinner der Geschichte. Unsere Bilanz der letzten 50 Jahre stimmt.“
Wenige Stunden zuvor hatte von demselben Rednerpult aus der scheidende CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble den Delegierten eine Mahnung mit auf den Weg gegeben: „Wir sind noch nicht übern Berg, und ich warne davor, schon wieder weitermachen zu wollen wie in alten Zeiten.“ Der Satz kam nicht so gut an. Kein Beifall. Aber es war ja gestern ohnehin nicht der Tag von Wolfgang Schäuble. Es war der Tag von Angela Merkel.
Ihr Vorgänger hat Helmut Kohl nicht ein einziges Mal erwähnt. Angela Merkel hingegen ist das Kunststück gelungen, die Delegierten mit ihrer Vergangenheit zu versöhnen – und mit der des Altkanzlers. Es habe „keine Alternative zum Kurs der Aufklärung“ gegeben. „Aber gerade, weil wir das wissen, lassen wir es nicht zu, dass sich die Linken die Deutungshoheit über die Bilanz seiner Leistungen anmaßen.“ Kohls Werk bleibe „überragend“. Rauschender Beifall.
Wie gut gefällt ihren Parteifreunden oben auf dem Podium die Ansprache? Der neue Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz faltet immer wieder einmal die Hände vor dem Gesicht. Volker Rühe schaut unbewegt vor sich hin. Auch Schäuble zeigt keine Regung. Was denken sie alle jetzt in diesem Augenblick? Beschleicht sie der Verdacht, dass es ein Zufall gewesen sein mag, der Angela Merkel an die Spitze brachte – dass es aber vielleicht kein Zufall ist, wenn sie dort auch länger bleiben sollte?
Die CDU hat einen neuen Star. Mit ihrem Hoffnungsträger der Vergangenheit ist sie in den letzten Wochen und auch gestern nicht so pfleglich umgegangen. Zwar bekam auch Wolfgang Schäuble immerhin fast drei Minuten stehenden Applaus für seine Rede. Aber allzu sehr schienen diese Ovationen ein erstarrtes Ritual zu sein, ein Tribut, der Parteivorsitzenden heute allerorten gezollt wird. Das Ritual erfüllt seinen Zweck. Trennende Gräben werden von rhythmischem Klatschen nicht zugeschüttet, aber unsichtbar gemacht.
Äußerlich unbewegt hat Schäuble den Beifall entgegengenommen. Auch die Abschiedsrede selbst hat er nüchtern, unterkühlt, über weite Strecken in trockenem, dozierendem Ton gehalten. Lange ist für wägendes strategisches Geschick gehalten worden, dass Wolfgang Schäuble in der Öffentlichkeit kaum je Gefühle zeigt.
Fehlt ihm wirklich der Wille dazu? Oder mangelt es ihm nicht vielmehr an der Fähigkeit?
Der alte Parteisoldat hätte gestern viele gute Gründe gehabt, für seine eigene Person zu werben – und es gab keinen Grund, der gegen eine persönlich gefärbte, auch wehmütige Rede gesprochen hätte. Außer einem einzigen: Wolfgang Schäuble hat diese Rede vielleicht einfach deshalb nicht gehalten, weil er eine solche Rede nicht halten kann.
Spätestens seit er in einer Fernsehdokumentation von einer Intrige gegen seine Person gesprochen hat, die auch kriminelle Elemente enthalten habe, weiß die Öffentlichkeit, welch tiefe, auch bittere Gefühle den scheidenden CDU-Vorsitzenden derzeit bewegen. Aber er zeigt sie nicht. Als besonders schmerzlich mag er es empfinden, dass ausgerechnet jemand wie er, der seinen Vorgänger Helmut Kohl jahrelang bis über die Grenze der Selbstverleugnung hinaus unterstützt hatte, selbst nur wenig Solidarität erfahren hat.
Wie dünn der Firnis der Loyalität ist, wurde gerade in den letzten Tagen deutlich. Noch vor wenigen Wochen war Wolfgang Schäuble von zahlreichen Fraktionskollegen als Opfer der Spendenaffäre bezeichnet worden. Als er aber dann selbst seinem Herzen Luft gemacht hatte, war der Unmut groß. So groß, dass bereits ein lautes Raunen zu hören war: Gesichert sei seine Wahl ins Präsidium bisher keineswegs. Da könne noch viel passieren.
Wolfgang Schäuble ist von der Partei stets großer Respekt entgegengebracht worden. Aber er hat die Chance verspielt, am Ende seines langen Wirkens in der ersten Reihe endlich darüber hinaus die ungeteilte Zuneigung der Delegierten zu gewinnen, denen der kühle Intellektuelle oft allzu distanziert gewesen ist. Das wird Angela Merkel nicht passieren. Sie zerdrückte nach ihrer Rede, deutlich sichtbar, ein paar Tränen.
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