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„Ich wache auf und rufe B an“

■ In Putzen auf amerikanisch zeigt Leonhard Koppelmann Andy Warhols Telefonsucht

Wie blöd muss Alltag sein, damit er wieder Kult wird? Ob Kaffeemaschine in der Webcam oder Big Brother rund um die Uhr – die modische mediale Realitätsabbildung ohne Schnitte und Verdichtung hat ihre Vorbilder in der Pop-Art und bei Andy Warhol. Manche seiner Filme waren vollkommen statisch wie die sechsstündige Schlafbeobachtung Sleep.

Doch die Spiegelung des Alltags kann auch sehr schwatzhaft sein. Wie in dem 1975 veröffentlichten Buch voller Telefongespräche Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück. Daraus hat Leonhard Koppelmann jetzt ein Theaterprojekt gemacht – frei nach der Textstelle, dass die Notizbücher später mal etwas wert sein können, wenn die 60er Jahre wiederentdeckt werden. In dem neuen Dialogstück spielen Björn Grundies und Dirk Ossig den platinblonden Poppapst und seine Bekannte Bridget, die mit stundenlangen Telefonaten die Zeit totschlagen. Dabei geht es um gnadenlos wichtige Dinge wie obskure Hautcremes, Schreibtischschubladenreinigung, Kunst in der Badewanne und die Nutzung der Klospülung zur Beseitigung von Pornos. Es wird von der Inszenierung abhängen, ob solche Trivialitäten auf der Bühne die Zuschauer stärker interessieren als die Beteiligten.

Schon nach zwei Sätzen verlässt Bridget die Szene und geht aufs Klo. Das ganze Gespräch ist also weniger ein Dialog als ein Doppelmonolog, dem es auf die Antworten des Partners kaum ankommt, solange die Fiktion aufrecht erhalten wird, nicht allein zu sein. Das ist – denkt man an Chatrooms – durchaus aktuell. Die Leere Warhols, der kokettierte „Wenn ich in den Spiegel sehe, sehe ich nichts“, lässt notwendig nur einen durch und durch trivialen Text zu. Und doch baut sich zwischen dem ersten Wort „hallo!“ und dem letzten Wort „wofür?“ hinter der unglaublichen Oberflächlichkeit ein intimes Stimmungsbild auf, das jeder abgefilmten Realität überlegen ist. Hajo Schiff

Premiere: So, 16. April, weitere Vorstellungen: 17., 29. und 30. April, jeweils 20 Uhr, TIK

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