„Liebe taz...“ Verkehr: 40 Mark pro Verstoß

Betr.: „Im Viertel herrscht Anarchie“, taz vom 10.4.2000

Dem Artikel möchte ich insofern widersprechen, als dass er den Eindruck erweckt, nur im Viertel herrscht Anarchie. Wer aufmerksam durch Bremen geht/ fährt, wird feststellen, dass sich im Bereich des Verkehrs in Bremen inzwischen eine Situation herausgebildet hat, die man durchaus als rechtsfreien Raum bezeichnen kann, und dies oftmals unter den duldenden Augen der Polizei. Zum Beispiel auf meiner täglichen Fahrt zum Dienst (mit der Straßenbahn) von Hemelingen nach Walle stelle ich fest: Wenn ich für jedes Fahrzeug, das auf Fußwegen, Haltestellenkapps, Radwegen und Grünanlagen steht, 40 Mark erhalten würde, hätte ich in dieser halben Stunde Fahrzeit mein Brutto-Monatsgehalt zusammen. Dabei sind Verkehrsverstöße wie Missachtung von Fahrgeboten, Linksüberholen der Straßenbahn, Halten im Halteverbot usw. noch gar nicht mitgezählt. In Bremen liegt das Geld, das wir nicht haben, auf der Straße. Herr Innensenator, wo bleibt das Recht, für das Sie in Bremen exekutiv die Verantwortung tragen? Besonders ärgerlich: Fußwege, auf denen weder Rollstuhlfahrer noch Kinderwagen oder ältere Leute, die Begleitung beim Gehen brauchen, nicht mehr verkehren können, sowie Radwege, die nicht benutzt werden können und Radfahrer zum Absteigen oder lebensgefährlichen Ausweichmanövern auf die Fahrbahn zwingen. Übrigens Fußgänger: Die auf der Straße sitzen erhalten Anzeigen wegen Nötigung, umgekehrt wird der Rechtsbruch, Autos auf Fußwegen, toleriert. Wie war das noch mit der Theorie von den „Broken Windows“?

Um deutlich zu sagen: Dieser Vorwurf geht nicht an die meistens chronisch unterbesetzten Reviere der Polizei, sondern an den mangelnden Willen der zuständigen Politik, gemeinsames Recht auch für alle durchzusetzen. Wo bleiben die notwendigen VerkehrsüberwacherInnen? Wie wäre es mit einer Einstellung auf Honorarbasis, zum Beispiel 40 Prozent an die Überwacher, 30 Prozent als Zusatzbudget an die Reviere und 30 Prozent zur Aufstockung der Globalmittel für die Stadtteile? Wer sich über geltendes Recht hinwegsetzt und dabei den schwächeren Verkehrsteilnehmern ihre Rechte stiehlt, sollte entsprechend verfolgt werden.

Um auf meinen Eingangssatz zurückzukommen: Allein in Hastedt habe ich bei einer Begehung mit dem Ortsamtsleiter und der Revierleitung circa 100 Verstöße auf nur vier Straßen gezählt, macht 4.000 Mark in einer Stunde. Toller Stundenlohn! Dies zeigt, nicht nur im Viertel herrscht Anarchie. Ich bin mir sicher, aus fast allen Stadtteilen ist Ähnliches zu berichten.

Kurt Schuster