Weltbürgeridentität gesucht

Fiona Tans Film- und Videoprojektionen im Kunstverein  ■ Von Hajo Schiff

Drei kleine, asiatische Kinder rauchen lachend Zigaretten und der Text aus dem alten holländischen Kolonialfilm „Tropisch Nederland“ meint dazu: „Kinder nutzen die Gelegenheit, dass die Mutter nicht da ist, weil sie Einkäufe macht“. Ein zweiter Zwischentitel lautet „Mit meinen eigenen Augen“ und plötzlich erscheint in Farbe die Künstlerin Fiona Tan mit einer Spielzeugkamera. Diese spielt mit der Nähe zur Werbung der Tabak-Sorte „Javanse Jongens“, ist vor allem aber eine Reflexion über den filmischen Blick und das Subjekt der Wahrnehmung einst und jetzt.

Der Filmloop der internationalen Künstlerin mit niederländischem Pass ist Teil der zweiten Ausstellung in der Reihe „Ich-Maschine“ im Hamburger Kunstverein. Wieder sind es Filme, Projek-tionen und Videos, mit denen eine Identitätssuche inszeniert wird. Besonders mit Sequenzen historischer ethnologischer Filme zeigt die Künstlerin Brüche in der Identitätsbehauptung auf, denn dort lässt sich leicht die Manipulation erkennen, nicht erst wenn in Papua-Neuguinea sich der weiße Mann hinter der Kamera im Bilderrausch wildgeworden mit Federn schmückt.

Die in Amsterdam lebende Fiona Tan hat als in Indonesien geborene und in Australien aufgewachsene Tochter eines Chinesen und einer angelsächischen Mutter eine so weltweit verknüpfte Familiengeschichte, dass sie sich selbst als „Professional Foreigner“ bezeichnet. Für das holländische Fernsehen hat sie in zweijähriger Arbeit eine weltweite Suche nach den Wurzeln ihrer Identität durchgeführt. Herausgekommen ist dabei ein sensibler Film, in dem Fiona Tan, ausgehend von Holland, die Eltern in Australien, den Rest der Familie in Indonesien, die Vettern in Köln, Hongkong und der Volksrepublik China besucht.

Am Ende findet sie Shan Hou, das Dorf, in dem alle Familien Tan heißen und in dem eine großes Familienbuch geführt wird. In der alten, konfuzianischen Familientradition wird sie als Chinesin aufgenommen und merkt zugleich, wie wenig sie eben das ist. Das Gruppenfoto mit ihr und den Tan-Familien ordnet sie später in der Arbeit „Thin Cities“, den historischen Gruppenfotos aus der ethnologischen Abteilung des Niederländischen Bildarchivs zu.

Familie oder Kultur, was ist stärker? Der eine Onkel verleugnet nach außen hin, Chinese zu sein, um in Indonesien nicht als Minderheit („Yellow Jews“) verfolgt zu werden, hat aber im Hause einen Ahnenaltar vor dem er in einem selbsterfundenen Ritual betet. Und der deutsche Cousin aus Köln antwortet auf die Frage, ob er Chinese sei: „Ja und nein. Ich weiß gar nicht genau, was das ist, ein Chinese.“

Klar, dass Fiona Tan da Bildmaterial besonders reizt, dass einst im europäischen Blick auf das Fremde ganz genau wusste, was ein Chinese oder Indonesier zu sein hatte. Identitätsfindung ist ein schwieriges Geschäft heutzutage. Ist es das, was die am fernen Fenster Buchstaben gestikulierende Frau in der Projektion am Eingang den Besuchern sagen will?

Die Hamburger Ausstellung ist für die 34jährige Fiona Tan die ers-te außerhalb der Niederlande, doch der Kunstbetrieb interessiert sich mächtig für sie: Für „Außendienst“, das große Hamburger Kunst-im-öffentlichen-Raum Projekt 2000/2001 wird sie beispielsweise noch diesen Sommer ein Schrottwagen-Autokino mit zwei Leinwänden gestalten.

In chinesischer Kalligraphie hatte der Vater ihr das Motto „Mögest Du in interessanten Zeiten leben“ gewidmet. Der Wunsch scheint sich zu erfüllen, gleich ob das Erbe aus einer Vielzahl der Kulturen sich eher als Palast oder als Gefängnis erweist. Es gibt eine, wenn auch nicht für jedermann wählbare Lösung der Frage, wie man eine Weltbürgerin wird: als Künstlerin.

„Fiona Tan – Scenario“, Kunstverein in Hamburg, Klosterwall 23, bis 4. Juni