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Berliner Nachtleben in Gefahr

Altbauten sind ein wichtiger Lebensraum für vom Aussterben bedrohte Tiere wie Fledermäuse und Falken. Sanierungen gefährden die seltenen Arten, obwohl mit einfachen Mitteln Abhilfe geschaffen werden könnte

von MARTIN KALUZA

Dort, wo in der Stadt die Altbauten noch so richtig authentisch vor sich hin bröckeln, trifft man sie gleich scharenweise an – aber nur, wenn man weiß, wo sie herumhängen. Tagsüber verstecken sich die stillen Untermieter in ihren Löchern und Ritzen, und meistens hat der Hausbesitzer nicht den blassesten Schimmer, wer alles seine Immobilie bewohnt. Nachts erst schwärmen sie aus und machen unter spitzem Geschrei Straßenschluchten und Dachstühle unsicher, doch ach: Werden ihre Häuser erst mal saniert, hat es sich ausgetobt mit dem Nachtleben. Dann kehrt eine fast gespenstische Ruhe ein. Wer Pech hat, wird bei lebendigem Leib eingespachtelt.

Dass die Zwergfledermaus gerade einmal so groß ist wie eine Streichholzschachtel, wird ihr bei Sanierungsarbeiten oft zum Verhängnis. Wenn die Bauarbeiter anrücken, um Dachstühle auszubauen oder Fassaden zu erneuern, werden die fliegenden Säuger oft übersehen. Und je hübscher alte Viertel oder rotte Plattenbauten wieder hergerichtet werden, desto bedrohter sind neben der Zwerg- auch die Breitflügelfledermaus und eine ganze Reihe von Vögeln, die unter Dachüberständen, in Mauerritzen, in Nischen und Löchern brüten – vor allem Mauersegler, Haussperling, Dohle und Mehlschwalbe. Auch die 220 jetzt noch in Berlin lebenden Turmfalkenpaare sind bedroht.

Mit Freiwilligkeit ist dem Rückgang der Arten trotz Naturschutzgesetz nicht entgegenzuwirken

Die Grüne Liga und der Naturschutzbund Deutschland haben deshalb eine „Arbeitsgemeinschaft Artenschutz an Gebäuden“ (ASAG) gegründet. Finanziert aus Mitteln der EU und des Landes Berlin, will die ASAG schwerpunktmäßig in den Bezirken Weißensee, Prenzlauer Berg und Friedrichshain dafür sorgen, dass der Bestand nicht noch weiter zurückgeht. Bereits zum zweiten Mal traf sich im März ein Runder Tisch mit Vertretern der Bezirksämter, der Sanierungsbeauftragten, des Umweltsenats und der Architektenkammer, den die Arbeitsgemeinschaft einberufen hatte. Neben der politischen Arbeit berät die ASAG auch Hauseigentümer und Anwohner über Schutzmaßnahmen für die Gebäudebrüter.

„Mit Freiwilligkeit ist dem Rückgang der Arten in Berlin nicht entgegenzuwirken“, konstatiert Tanja Thiele von der ASAG. Zwar seien eigentlich alle Gebäudebrüter – mit Ausnahme der Straßentaube – durch das Naturschutzgesetz geschützt, und ein Eigentümer, der sein Haus vor der Sanierung nicht auf geschützte Arten hin untersuche, riskiere einen Baustopp. Doch die Realität sähe anders aus: „Wenn das Haus erst eingerüstet ist und die Bauarbeiter schmeißen alles raus, was lebt, merkt das meistens keiner.“

Wenn etwa eine Fassade saniert wird, bekomme das Bauamt das nicht mit, geschweige denn das Grünflächenamt. Ganz anders sei dies beispielsweise in Leipzig. Dort, so Thiele, werden schon seit einigen Jahren Neu- und größere Umbauten erst dann genehmigt, wenn der Bauherr ein naturschutzfachliches Gutachten beibringe.

Das Dreck-Argument zählt nicht, die Tiere leben schließlich schon seit Jahren unbemerkt vor Ort

Die Arbeitsgemeinschaft hat außerdem festgestellt, dass Hauseigentümer oft wegen Bedenken Artenschutzmaßnahmen scheuen, die eigentlich schnell ausgeräumt werden können: Die zusätzlichen Öffnungen ließen sich so setzen, dass sie den Wärmeschutz nicht verminderten. Und das Argument, Fledermäuse und Vögel würden zu viel Dreck machen, lässt Thiele nur kurz mit den Achseln zucken: „Das Verrückte ist ja, dass die Leute schon jahrelang mit den Tieren leben, oft ohne es zu wissen.“

Auch führen die Naturschützer immer wieder vor, dass der Erhalt der Brutstätten weder aufwendig noch teuer ist: So wurden im vergangenen Jahr an einem elfstöckigen Plattenbau in Alt-Friedrichsfelde, als die Fassade neu verhängt wurde, an den Fugenkreuzen kleine Lücken ausgespart, die Fledermäuse jetzt als Tunnel zu ihren Brutstätten benutzen.

In Lichtenberg ließ ein aufgeschlossener Eigentümer in den Dachüberständen genug Platz, dass eine ganze Sperlingskolonie gerettet werden konnte – über neue Lösungen hält sich die ASAG mit ähnlichen Projekten in den anderen Bundesländern auf dem Laufenden. Inzwischen berät die Arbeitsgemeinschaft auch das Bundesjustizministerium und das Bundespresseamt in ihren Bauvorhaben.

Viele Hausbesitzer, die sanieren, sträuben sich schon allein gegen das Zuhörenmit Händen und Füßen

„Wenn der Eigentümer etwas tun will, geht das ganz einfach“, erklärt Thiele. Allerdings hat sie auch regelmäßig mit Hausbesitzern zu tun, die sich allein schon gegen das Zuhören mit Händen und Füßen sträuben.

Als vor kurzem in der Nähe des Kollwitzplatzes ein altes Gebäude saniert werden sollte, wurde Thiele hellhörig: Von der Wohnung einer Freundin aus hatte sie gesehen, dass im Dachvorsprung des Hauses zwei Mauerseglerpaare lebten. „Es wäre so einfach gewesen! Man hätte nur zwei Öffnungen setzen müssen, und es hätte nicht einmal etwas gekostet“, erinnert sich die Tierschützerin. Doch der Hausbesitzer wollte davon nichts wissen, habe sich am Telefon verleugnen und ausrichten lassen, man müsse das mit den Vögeln erst einmal beweisen.

Doch die Mauersegler hatten Glück: Thiele überredete kurzerhand die Handwerker vor Ort, einige der Stuckelemente unbürokratisch so auszuhöhlen, dass die Vögel hindurchschlüpfen können. „Das sieht man von unten aus nicht einmal“, freut sie sich über den kleinen Erfolg, „und der Eigentümer weiß bis heute noch nichts davon.“

Die Beratungsstelle der Arbeitsgemeinschaft Artenschutz an Gebäuden befindet sich im so genannten Grünen Haus: Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin. Telefon 44 33 91-83, -84, -86. Öffnungszeiten: Di 10 bis 14 Uhr und Do 16 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung.Hinweise auf Wohn- und Brutstätten von Vögeln und Fledermäusen, die durch Baumaßnahmen gefährdet sind, nehmen die Natur- und Grünflächenämter der Bezirke entgegen.

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