: Yuppie-Nightmare und Erlösung
■ Neu im Kino: In „Siam Sunset“ verrennen sich wieder einmal Stadtmenschen in der unendlich großen australischen Pampa
Schön ist es nicht, wenn einer eine bildhübsche Ehefrau hat, und die scheidet dahin in der Blüte ihres Lebens. Zumal, wenn die Umstände widrig zu nennen sind. Genauer gesagt: Wenn ein Kühlschrank durch eine defekte Ladeluke eines Flugzeugs in den schnieken Vorgarten eines jungen Ehepaars plumpst, mittenmang auf die Frau. Monty Python könnte das nicht schöner, so unschön wie das ist. Und weil das Schicksal in all seiner Hinterfotzigkeit so ein Meisterwerk von einem Todesfall zu Wege brachte, entschließt es sich, das Schicksal, den armen Perry auch fürderhin mit Unbill zu überhäufen: Mal durchkreuzt ein Lastwagen sein Wohnzimmer, mal wird ein Freund von einem Kunstobjekte aufgespießt – wie das Leben halt so spielt. Und auch die Australienreise, die Perry beim Bingospiel gewinnt, scheint ganz das Potential zu haben, zu einem superben Reinfall zu degenerieren.
„Siam Sunset“ vom Australier John Polson ist also eine Groteske. Es ist aber auch ein sentimentaler Schmachtfetzen. Und deshalb forscht Perry, ein schnöseliger britischer Farben-Designer mit Inbrunst nach einer ganz bestimmten Farbe – Siam Sunset, ein sanftstrahlendes Rot, irgendwo zwischen Blut, Lippenstift, Wüstensand. Dies Rot will er nämlich in glückseligen Augenblicken im Haar der verblichenen Ehefrau gesehen, naja, vielleicht auch eher geahnt haben – wie das liebenswerte Träumer eben so tun. Ein Mensch auf der Suche nach der verlorenen Zeit, ganz proustsch. Manchmal guckt er mit weltverlorenem, sehnsüchtigem Blick in einen Farbeimer am Wegesrand oder auf einem roten Sandhügel in der Wüste.
„Siam Sunset“ ist ein klassischer 80-Prozent-Film. Alles ist allerliebst angedacht, aber manchmal nur vier-Fünftel-herzig ausgeführt. Zum Beispiel die dusslige Busreisegruppe, mit der sich Perry durch ein Australien der Gewitter, Überschwemmungen, Trockenzeiten und Giftschlangen quält: lauter verfettete, wortkarge oder gar liedermachende Unikume, so wie wir sie lieben; aber irgendwie zu wenig mit Spleens oder Anekdoten gefüllt. Oder Perrys Suche nach der Farbe der Erlösung. Das könnte manischer angelegt sein. Oder die ebenso unnahbare wie unerschütterbare Gangsterbraut, in die sich Perry verlieben wird. Toll, aber ein Kick zu viel Klischee. Ach ja, und diese Mischung aus billigster Filmmusik und genialen Songs (Leonard Cohen: „Halleluja“). Umwerfend wird es, wenn sich das feindliche Schicksal aus unerfindlichen Gründen doch noch besinnt. Dann rührt ein mysteriöses Zusammenspiel Tausender von Zufällen die ersehnte Farbe zusammen und verstümmelt den Bösewicht mit heftigster B-Picture-Härte. Diese vielleicht allzu gewagte Mischung von Roadmovie, Trash, Lovestory, Yuppie-Nightmare, ernsthafter Selbstfindung und Arsch-der-Welt-Idyll ist für einen Erstlingsfilm mehr als beachtlich. Richtig genial aber wird wahrscheinlich erst der nächste Film von John Polson werden. bk
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