handlungsfähigkeit: das scheißwort des jahrhunderts
von JOACHIM FRISCH
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„Der Wähler will endlich eine stabile Regierung, die ihrem Land die notwendigen Reformen bringt“, Hauptsache, das Land ist nach „vier lähmenden Monaten wieder handlungsfähig“, kommentierte das Hamburger Abendblatt die Machtübernahme des Rassisten Haider in Österreich.

„Handlungsfähigkeit“ lautet das erste Gebot der wichtigtuerischen Schwafler und Möchtegern-Mächtigen in den Redaktionen. Die chinesische Regierung auf dem Platz des himmlischen Friedens; Russland in Tschetschenien; Chile 1973 nach dem marxistischen Durcheinander; Deutschland 1933 nach den chaotischen Jahren der Weimarer Republik: endlich wieder handlungsfähig. Für Herrn Wichtig im Redaktionsbüro, für den kleinen Max im großen Anzug des verantwortungsbewussten Meinungsmachers, für den Staatsbürger mit Laptop ist „handlungsfähig“ das wichtigste Element eines Gemeinwesens oder einer Regierung. Ich bin handlungsfähig, also bin ich. Die größte Katastrophe ist der Verlust der Handlungsfähigkeit, ganz egal, wie die zuvor vollbrachten Handlungen ausgesehen haben. Wahrscheinlich ist es die Angstneurose von Impotenz bedrohter Mitvierziger, welche die schlaffen Würstchen mit aufgeregter Eunuchenstimme die Hymne der Handlungsfähigkeit singen lässt.

Auch wenn sie von Reformen schreiben, wird einem übel. Hauptsache Reformen, in Ruanda, Russland und Irkutsk. Reformen sind die wichtigsten Handlungen, die von handlungsfähigen Regierungen erwartet werden.

Gemeint ist mit „Reformen“ seit 1990 immer: Man haut alles Alte kurz und klein, damit der Westen, also Daimler-Chrysler und Deutsche und Dresdner Bank neue Märkte schaffen können. Ob bei den Reformen ein Drittel der Einwohner verreckt, verhungert, eingesperrt oder ermordet wird, ist wurscht, solange die Reformen die restlichen zwei Drittel handlungsfähig machen und ihnen ermöglichen, sich einen Benz oder wenigstens einen Chrysler zu kaufen.

Handlungsfähig ist mein Unwort, ach was: Scheißwort des gerade eben vergangenen Jahrhunderts, ein Wort, in dessen Namen Menschenwürde, Gerechtigkeit und Humanität zertreten werden wie lästige Asseln. Wer sich ihr, der Handlungsfähigkeit, in den Weg stellt, wird handlungsunfähig gemacht. Das offizielle Unwort des letzten Jahres, „Kollateralschaden“, lügt nur. Das Wort „handlungsfähig“ fordert, es fordert, dass alles ausgemerzt werde, was sich der Handlungsfähigkeit in den Weg stellt.

Selbstverständlich wäre es eine Katastrophe, wenn plötzlich alle Regierungen dieser Welt handlungsunfähig wären, keine Steuern eintreiben, keine Rechte durchsetzen würden, wenn es keine Sozialleistungen mehr gäbe, natürlich wäre es verantwortungslos und unmoralisch, dies zu wünschen. Genau darin liegt die widerliche Perfidie der Prediger der Handlungsfähigkeit. Sie klammern sich schamlos an den Mantelsaum der jeweils Mächtigen, kriechen im Namen der Moral in die Ärsche der Tyrannen. Dagegen ist man ohnmächtig, handlungsunfähig, und wer nicht handlungsfähig ist, der ist nicht. Basta. Und trotzdem heißt meine Losung: Lieber handlungsunfähig als eine verantwortungsbewusste Moluske im Enddarm eines Haiderartigen.