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Willkommen im Totenhaus

„Macht nix, wenn wir alle sterben“: Robert Smith mochte schon in den Achtzigern nicht in den Spiegel gucken. Mit The Cure war der Sänger am Wochenende zu Gast in Berlins Arena

von SUSANNE MESSMER

Es ist, als habe sich die Gegend um die Arena an diesem Abend besonders in Schale geworfen. Die Sonne geht rot glühend hinter rostigen Kränen und Schiffen unter, das Wasser glitzert metallisch. Wer sich etwas früher aufgemacht hat, kann sich vorm Eingang noch an die Spree setzen und die schönsten Erlebnisse austauschen, die man mit The Cure so hatte: Ein Freund sei mal vor lauter Liebeskummer bei Regen und unter Tränen an eine Ampel gefahren. Währenddessen sei der „Lovesong“ von The Cure im Autoradio gelaufen, sagt er.

Es scheint, dass die um die Dreißigjährigen, die vor allem an uns vorbeiziehen, eher etwas mit The Cure aus den Achtzigern verbinden: die meisten ganz in Schwarz wie extra aus der Truhe gekramt für die wichtigste Band ihrer Pubertät. Nur wenige richtige Grufties sieht man noch, keine Mittelalterfreaks und allerhöchstens drei Lookalikes, drei Jungs mit dieser typischen Filzfrisur des Sängers und Chefs der Band. Glänzende Augen überall: Es ist ein Konzert, auf das sich die Bewohner des Paralleluniversums Cure schon seit langem freuen.

Trotz 27 Millionen verkaufter Alben erscheint Robert Smith noch immer in labbrigen Klamotten aus der Altkleidersammlung auf der Bühne. Wie er da mit schrägen Schultern steht, unsicheren Blicks, sachte wiegt er sich im Besenfegerschritt vor und zurück – all das könnte liebenswerter nicht sein. Nichts hat sich verändert: Sich selbst hat er mal als Karikatur eines Goth’ bezeichnet, trotzdem verkörpert keiner mehr als er den unglücklichen dicken Jungen mit schlechten Noten in Sport, asexueller, schwacher, kränklicher, verletzlicher als alle anderen. Nie könne er in Spiegel gucken, sagt er, und demonstriert damit wie Punk eine Antihaltung zur Besser-Weiter-Höher-Mentalität der gestählten nackten Oberkörper, zu den T-Shirt-schwenkenden Technofans und Rockern und Wellnesstreibenden der Neunziger.

Nie wird er dabei aggressiv. Das Herz auf der Zunge, singt er von der Romantik der einen, großen Liebe, von Verlassenwerden, Verlust, Abschied und Heimweh, dem juvenilen Wunschtraum, alt zu sein, und immer wieder Todessehnsucht. The Cure haben es geschafft, seit mehr als zwanzig Jahren antimodern und retrospektiv, gegen Funktionalisierung, Leistungsorientierung und Konsum zu sein, gegen die Auflösung sozialer Sicherheiten. Die Freiheit, die unsere Welt verspricht, ist eine Illusion, weiß Robert Smith einleuchtend ekelerfüllt zu berichten. Oh süße Melancholie! Weil The Cure so uncool sind und unzeitgemäß, haben sich hier die nettesten Vertreter einer irgendwie düsteren Gesinnungsgemeinschaft eingefunden. Sie lieben es, was Robert Smith ihnen heute präsentiert.

Die Lichtshow ist ornamental und bonbonbunt, wunderschön. Die neue Platte „Bloodflowers“, sie ist so ganz ohne pointenreiche und nach Effekten haschende Hits wie „Lovecats“ und „Friday I’m In Love“, durch die The Cure berühmt geworden sind. Die Songs sind bestimmt durch seltsam tröpfelnde, mollige und äußerlich betrachtet ereignislose Halbtonmelodien, bei denen man lange auf eingängige Refrains oder sonstige Sensationen warten kann. Sie entwickeln sich langsam und erst bei genauem Hinhören, bleiben aber dann auch live schön kleben. Und siehe da: Es kommt super an. Ein Junge hinter mir weint. Diese ureigene Methode von The Cure, diese ergreifende Poesie, das Pathos und eine gewisse Art von Pop, der nicht nach vorne geht, hält sich auch in der Auswahl der anderen Lieder durch: Einfach nur fröhliche Heuler wie „Boys Don’t Cry“ oder „Close To Me“ werden vermieden, dafür spielt Smith Lieder der beiden Alben, an die sich seiner Meinung nach das neue anschließt: die besten und kaputtesten der achtzehn Jahre alten „Pornography“: „It doesn’t matter if we all die“. Die sanftesten und traurigsten der elf Jahre alten „Disintegration“.

Keiner hat damit gerechnet, all das noch einmal live hören zu dürfen. Alle sind begeistert. Wenn auch jeder für sich: denn hier weiß man schließlich, dass jeder irgendwie allein ist, oder, in den Worten Roberts: „that no-one ever knows or loves another“. Ganz am Ende der drei Zugaben spielen The Cure die obligatorischen Klassiker „A Forest“ und „Faith“. Selten hat man Leute zu schleppenderen Liedern euphorischer tanzen sehen.

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