piwik no script img

powerfrauen, lebensgestaltung etc.Hera Lind und der Ernstfall der Liebe

URKNALL

Dass Hera Lind, die Bestsellerautorin, dem romantischen Projekt verhaftet sei, die Realität zu literarisieren, wird eigentlich niemand behaupten wollen. Eher schon, dass sie antrat, die Literatur zu trivialisieren. Natürlich gehört nicht viel dazu, ihre Geschichten von Erfolg und Begehrbarkeit als Wunschfantasien zu entlarven.

In seiner ganzen Härte aber, und das machte das Phänomen aus, stand das reale Leben Hera Linds diesen simplen Fantastereien zur Seite. In Wirklichkeit nämlich, so erfuhren wir, schaffte Hera Lind es auch wirklich. Viele Kinder, viel Geld, viel gute Laune und eine funktionierende Beziehung: Eine feste Burg war dieses Leben. Und die Bücher waren eine Spielerei.

Was aber, wenn es umgekehrt wäre? Wenn die Mann-Frau-Klischees, die die Bücher bevölkern, das Reale in ihrem Leben sind und ihr Familienleben nur eine Inszenierung? Immerhin ist der Satz von ihr überliefert: „Das Drehbuch zu meinem Leben schreibe ich selbst.“ Und wir anderen lernen anhand der Show „Big Brother“ derzeit sowieso, wie eng Realität und Medienfiktion miteinander verwebbar sind. Was also, wenn Hera Lind in Wahrheit keine Bücher schrieb, sondern ihr Leben?

Zumindest könnte man sich dann gewisse Obertöne rund um ihre neue Liebe besser erklären. Von einem „Urknall“ redet Hera Lind. „Jetzt weiß ich, dass die Liebe eine Himmelsmacht ist“, sagt sie. Und sie sagt, dass sie seit 42 Jahren auf ihren Engelbert Lainer gewartet habe. Das alles ist zu nahtlos ineinander gefügt, als dass es nur real sein könnte.

Natürlich weiß man, dass Frisch Verliebte nicht unbedingt Herr ihres Verstandes sind. Aber das Problem ist gerade, dass Hera Lind sehr wohl weiß, was sie da sagt. Bis in die Nuancen hinein folgt sie dem Konzept der Liebe auf den ersten Blick, der Liebe als Himmelsmacht. Sie ist scheint’s doch dabei, zumindest ihre eigene Realität romantisch zu literarisieren.

Was ist da passiert? Die Interpretation, dass in das Weichgespülte ihrer Selbstinszenierung als Mutter und Freizeitschriftstellerin nun das Reale, der Ernstfall – die Liebe! – einschlug, ist inszenierungstheoretisch unterbelichtet. Hat Hera Lind möglicherweise andersherum das biedere, aber reale Familienglück zu Gunsten einer tobenden Liebesinszenierung, eines wilden Liebesromans verlassen?

Wahrscheinlich kommt man mit Überlegungen, was nun am Leben der Hera Lind echt und was inszeniert sei, nicht weiter. Gerade die große Konsequenz, mit der sie ein neues Leben beginnt und das alte über den Haufen wirft, spricht eher dafür, dass sie eine Lektion der Mediengesellschaft verinnerlicht hat: Es gibt kein Entkommen aus der Inszenierung – außer in die nächste Inszenierung. Diesen Wechsel zieht sie gerade entschlossen durch.

Was man also besprechen muss, wären in Zukunft nicht ihre Bücher – auch wenn sie dafür vier Millionen Mark Vorschuss kassiert –, sondern ihre Lebensgestaltung. In die ist, muss man sagen, gerade einiger Drive hineingekommen. Aber auch Kitsch. Überhaupt spricht manches dafür, dass Hera Lind durch ihren Inszenierungswechsel eher verloren hat.

Die unbedarfte Powerfrau geben konnte niemand so gut wie sie. Als Liebende aber tummelt sie sich in einem weiten Feld. Und man kann schon den Eindruck bekommen, dass andere Frauen die Fähigkeiten, die hier verlangt werden, besser beherrschen. Der Auftakt ihrer neuen Inszenierung kam zum Beispiel mit dem Holzhammer daher.

Darüber hinaus aber gilt: Eine Gesellschaft, die solche Lebensgeschichten schreibt, braucht keine Trivialromane mehr. Oder aber sehr gute. DIRK KNIPPHALS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen