: Die Macht des Hungers
Wenn in Äthiopien die Dürre ausbricht, müssen die politischen Machthaber um ihre Posten fürchten. Deshalb fordern sie jetzt schnelle Hilfen
aus Nairobi PETER BÖHM
In der Theorie wird humanitäre Hilfe „neutral und an jene in Not vergeben, unabhängig von Herkunft, Religion und Geschlecht“, wie es in den Statuten vieler Hilfsorganisationen heißt. Doch in der Praxis ist sie stark von politischen Interessen abhängig. Denn Nahrungsmittel retten nicht nur tausende vor dem Hungertod – sie stabilisieren auch Regierungen und Rebellenbewegungen.
In Äthiopien waren Hungerkatastrophen immer wieder Auslöser für Regierungskrisen. 1974 hungerte die Region Wollo, während Kaiser Haile Selassie im Luxus schwelgte – das leitete seinen Sturz ein. Und auch für das nachfolgende sozialistische Regime von Mengistu Haile Mariam ging es nach der die Welt bewegende Hungerkatastrophe von 1984/85 bergab. Es wurde international zum Inbegriff einer verfehlten Politik. Das führte zu einem Aufschwung für die Rebellenbewegungen in den Regionen Tigray und Eritrea, zum Sturz Mengistus 1991 und später zur Unabhängigkeit Eritreas.
Für die äthiopische Regierung ist der Hunger ein Politikum
Das ist ein Grund, warum die von einstigen Tigray-Rebellen dominierte äthiopische Regierung die drohende Hungersnot als Politikum begreift. Internationalen Organisationen und Industriestaaten wirft sie inzwischen vor, ihre Hilfszusagen nicht eingehalten zu haben, weshalb jetzt fast 300.000 Tonnen Getreide inden äthiopischen Nahrungsmittelvorräten fehlten. Zu Beginn jeden Jahres schätzt die Regierung, wieviel Nahrungsmittelhilfe sie brauchen wird, und bekommt dann dafür Zusagen von den Gebern. In einer Sicherheitsreserve sollen immer 300.000 Tonnen vorrätig sein. Jetzt sei die Reserve auf 60.000 Tonnen zusammengeschrumpft – weit weniger als der Bedarf eines Monats.
Dass sie mit ihren Lieferungen im Rückstand waren, räumen die Diplomaten und Vertreter der Hilfsorganisationen in Nairobi ein. Aber das ist gängige Praxis, wie ein Vergleich mit den Nachbarländern Sudan und Somalia zeigt: Oft sind erst dramatische Appelle notwendig, bis Hilfsgüter geliefert werden. Im Sudan zum Beispiel hat das UNO-Welternährungsprogramm WFP, das seit vielen Jahren mehrere Millionen Menschen im Bürgerkriegsgebiet des Südsudan ernährt, erst 57 Prozent des von ihm für das Jahr 2000 errechneten Bedarfs erhalten. Eritrea, mit dem Äthiopien seit Mai 1998 Krieg führt, hat bisher nur für 25 Prozent der notwendigen Hilfsgüter verbindliche Zusagen – Äthiopien 75 Prozent. Und über Somalia sagt WFP-Landeschef Kevin Faroll: „Wir leben von der Hand in den Mund. Wir müssen abwarten, ob die Regenzeit wie geplant im Mai beginnt. Davon hängt es ab, wann wir wieder einen Appell an die Geber lancieren werden.“ Somalia bekommt nur einen Bruchteil der Hilfe, die Äthiopien erhält. Das Land ist in einen Flickenteppich von Herrschaftsgebieten unterschiedlicher Milizen zerfallen, die sich nur bedingt als Staaten begreifen. Wegen der immer wieder vorkommenden Entführungen und Ermordungen ihrer Mitarbeiter sind kaum mehr Hilfsorganisationen präsent. Mit der Verteilung der Hilfe sind einheimische Unternehmen beauftragt, die Abgaben an die Milizenchefs entrichten, durch dessen Gebiet sie fahren.
Bei ihrer Kritik an den Gebern erwähnt die äthiopische Regierung nicht, dass sie zu den privilegierten Empfänger von Nahrungsmittelhilfe am Horn von Afrika gehört. Peter Holdsworth, Nairobi-Vertreter des EU-Kommissars für Humanitäre Angelegenheiten, rechnet vor, dass Äthiopien in den vergangenen vier Jahren allein von der EU Getreide im Wert von umgerechnet über 500 Millionen Mark bekommen habe. Und das nicht nur weil Äthiopien, mit 55 Millionen Einwohnern das zweitgrößte Land Afrikas, immer wieder mit Dürre zu kämpfen hat, sondern auch, weil das Land „synonym mit Nahrungsmittelhilfe ist. Das ist ein pawlowscher Reflex der Geber.“
Der Hunger von 1984/5, bei dem zwischen 500.000 und einer Million Menschen umkamen, prägte das Bild von Afrika ebenso wie der Bürgerkrieg von Biafra Ende der sechziger Jahre, bei dem zum ersten Mal Kinder mit aufgeblähten Bäuchen auf den Bildschirmen im Westen flimmerten. Äthiopien war monatelang in den Schlagzeilen, und es gab Benefizkonzerte wie „Feed the World“. Seitdem denken die meisten, die Äthiopien hören, an Hunger. Aber Äthiopien ist auch ein wichtiger Verbündeter des Westens, wegen der Nähe zum Nahen Osten und weil es als christliches Land ein natürlicher Verbündeter gegen die islamistische Regierung im Sudan ist.
Geholfen wird oft nur den Landsleuten der Machthaber
Sind die Getreidesäcke endlich eingetroffen, hängt es von der Regierung ab, wer weiter Hunger leiden muss. Äthiopien wurde immer wieder vorgeworfen, die Hilfe nach Gutdünken zu verteilen. „Dass die Menschen jetzt im Ogaden sterben, ist ja kein Zufall“, sagt ein Diplomat in Nairobi. In Tigray, der Heimatregion der meisten Regierungsmitglieder, gebe es keine Not, obwohl dort mehr als 300.000 Flüchtlinge aus den Kampfregionen des Krieges mit Eritrea leben.
Die Ogaden-Region im Osten Äthiopiens ist ein traditioneller Unruheherd. Sie wird von somalischen Nomaden bewohnt, mehrere Rebellenbewegungen sind hier aktiv. Auf der einzigen Allwetterstraße nach Gode kommt es immer wieder zu Hinterhalten. Die Region ist über den Landweg praktisch nicht erreichbar. Nichtäthiopische Hilfsorganisationen sind seit Überfällen und Morden an Mitarbeitern aus der Region abgezogen worden. Drei für die Unsicherheit in der Hungerregion mit verantwortliche Rebellengruppen forderten gemeinsam die UNO auf, „ein unabhäniges Gremium“ zu bilden, „um die Verteilung der Hilfe zu kontrollieren und zu koordinieren“. Damit soll die Autorität der Regierung geschwächt werden.
Einen Präzedenzfall für politisch motivierte Hilfe schuf im Dezember die konservative Mehrheit im US-Repräsentantenhaus. Sie wollte per Gesetz Nahrungsmittel für den Südsudan direkt an die Rebellenorganisation „Sudanesische Volksbefreiungsarmee“ (SPLA) liefern. Nach massiven Protesten der großen US-Hilfsorganisationen World Vision und CARE scheiterte die Vorlage. Die SPLA legte ein Vertragswerk vor, wonach die im Südsudan tätigen Hilfsorganisationen Gebühren für die Registrierung von Personal und Ausrüstung sowie deren Sicherheit zahlen müssen, sowie für die Benutzung der Flugpisten, obwohl die zumeist von den Hilfsorganisationen gebaut und unterhalten werden. Elf Organisationen, die nicht unterschreiben wollten, wurden daraufhin aus den SPLA-kontrollierten Gebieten ausgewiesen.
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