: Komm zu Scientology ...
... denn durch die Brille L. Ron Hubbards schillert die Welt wie Benzin in Pfützen. Bericht über den steinigen Weg ins Dasein geworfener Gebrauchtwagenhändler
Es gibt Brillen, die wollen mehr sein als einfache Brillen: Scientologenbrillen. Auf den Nasen von Scientologen winden sich Bügel zu Notenschlüsseln, sind gezackt wie Aktienkurse, und kolorierte Gläser schillern wie Benzin in einer Pfütze. Brillen so horndumm, dass sie alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, bis das Gesicht dahinter verblasst wie ein Fernseher im Sonnenlicht. Das ist ein Jammer. Denn wer die Welt durch eine solche Brille sieht, dem sind existenzielle Fragen ins Gesicht geschrieben: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und werde ich dort mehr verdienen? Und was ist eigentlich Scientology?
„Was ist Scientology?“, diese Frage rollt wie eine Billardkugel auch durch den Kopf von Hansjürgen. Der 45-Jährige trägt ein hagebuttenfarbenes Jacket, weiße Slipper mit Bommeln und gehört zu den Opfern der metaphysischen Obdachlosigkeit unserer „komplizierten Zeit“ (L. Ron Hubbard). Ein Geworfener (Heidegger) ins Dasein, hart aufgeschlagen auf dem geteerten Parkplatz eines Gebrauchtwagenhändlers: „Hyundai, Daewoo, die ganzen Koreaner halt“, erklärt der Autoverkäufer, die Hände skeptisch in die Hüften gestemmt. Und fest entschlossen, sich für dumm verkaufen zu lassen – wenn es sich lohnt. Deswegen ist er ja auch hier, auf der Ausstellung „Was ist Scientology?“, die vom 18. bis 20. April als Teil einer neuen Aufklärungskampagne der Scientology Kirche Deutschland e. V. in Berlin stattfindet.
Das ursprünglich für die Ausstellung gebuchte Hotel hat die Scientologen hinausgeworfen, kurzerhand haben die ihre Stellwände in ein nahe gelegenes Bürogebäude verfrachtet. Ein knappes Dutzend Scientologen kümmert sich um ein knappes Dutzend Interessenten, die sich um ein Tischchen mit Keksen und Orangensaft drängen. Marmorierte Stellflächen suggerieren ein gediegenes Ambiente. In güldenen Lettern lässt sich hier der Lebensweg des Sektengründers L. Ron Hubbard „visuell nachvollziehen“. Auf schwarzweißen Fotos sehen wir Lafayette Ron Hubbard beim Nickerchen, in Marineuniform, vor Berglandschaft, als Bronzebüste und auf hoher See, mit ausgestrecktem Arm den Weg weisend. Es ist „der Weg zum Glücklichsein“ und beruht „in allen Punkten auf dem gesunden Menschenverstand“.
Mit gesundem Menschenverstand – wie ihn etwa Sigmund Freud oder der Verfassungsschutz an den Tag legten – wollen gläubige Scientologen nichts zu tun haben. Sie vertrauen allein auf „praktisch nachweisbare Erfolge“, wie sie etwa ein Elektrometer zeitigt: ein Lügendetektor als formschönes Oval mit Lämpchen und weißem Zifferblatt wie ein italienisches Motorrad. „Wollen Sie mal einen Gedanken sehen?“, fragt listig eine Auditorin und drückt dem Hansjürgen zwei silberne Dosen in die Hand, die über Kabel mit dem E-Meter verbunden sind. „Ich bin Atheist“, protestiert Hansjürgen. „Umso besser!“, versetzt die Fleisch gewordene Gedankenwaschmaschine.
Der Weg zu Erkenntnis und Glückseligkeit ist steinig, aber „technisch machbar“, wie L. Ron Hubbard in einem Video versichert. L. Ron Hubbard hat nämlich „die Formel gefunden, die alles Menschsein bedingt, und diese Formel heißt: Überleben!“ Gefragt, ob er an Scientology Geld verdiene, bricht L. Ron Hubbard in sein ganz besonderes, gruseliges Gelächter aus. Und das geht so: Die Augen zu Münzschlitzen verengt, die Mundwinkel hochgezurrt, der ganze Körper wackelt wie der eines Fahrradfahrers auf Kopfsteinpflaster – und über seine schmalen Lippen kommt kein Laut.
Nein, Geld verdienen wolle er nicht, antwortet Hubbard. Stattdessen wolle der allmächtige Heiland Menschen helfen, ihr „unsterbliches Wesen zu erkennen“. Um so jede Art von Krankheit zu heilen. Krebs und Drogensucht. Oder auch Blindheit. Durch die besondere Scientologenbrille. ARNO FRANK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen