: Befreiende Bewegung als Läuterung
Die Artus-Sage, ein Bilderbuch: Wolfram von Eschenbachs „Parzival“ am Altonaer Theater ■ Von Liv Heidbüchel
Als Axel Schneider vor fünf Jahren die Intendanz des Altonaer Theaters übernahm, war „Parzival“ seine erste Inszenierung. Am Karfreitag nun hatte die überarbeitete Fassung von Wolfram von Eschenbachs Versepos aus den Jahren um 1200 Premiere, in der Schneider mehr Gewicht auf die interne Entwicklung des Helden legen wollte. Der zu folgen fällt allerdings bei der umfangreichen und ausführlich geschilderten Rahmenhandlung gar nicht so leicht.
Denn Wolfram von Eschenbach (Klaus Falkhausen) selbst schlägt als Erzähler das große Sagenbuch auf und läutet die szenische Erzählung in unzähligen Bildern in feins-tem Mittelhochdeutsch ein. Allgemeines erleichtertes Aufatmen als es dann im gewohnten Hochdeutsch weitergeht.
Nichtsdestotrotz verlangt die Inszenierung dem Publikum nicht einen Funken Abstraktionsvermögen ab: Man muss nur hinschauen. Auf der Bühne erleben wir Kampfszenen, die mit jenen aus „Braveheart“ oder ähnlichen Schlachtenschinken ohne Weiteres mithalten können. Der Schwerpunkt liegt wieder einmal ganz im Körperbetonten – ein schauspielerisches Engagement des gesamten Ensembles, das das Publikum zu würdigen weiß. Die Dialoge sind, wenn nicht weise oder humorig, so doch immer griffig. Wir erfreuen uns an Antworten, die uns das Stück auf die Fragen des Lebens oder doch auf die des Parzival zu geben vermag.
Denn der (Fabio Menéndez) ist ja als junger Mann mit einigem Aggressionspotential und Lebenshunger ein Held fürs Zeitgenössische. Aufgewachsen ist er in der Einöde, zu seiner Seite nur seine strenggläubige und durchleuchtete Mutter, die ihm jegliches weltliche Wissen vorenthielt. Sowas schürt Nachholbedarf. Gegen den Willen der Mama zieht er an Artus' Hof, wird Ritter, besteht etliche Gefahren, heiratet und bringt beständig andere Männer um – natürlich nur, wenn es Not tut.
Bekanntermaßen kann dies alles noch nicht glücklich machen. Mindestens der Heilige Gral muss her. Bis Parzival jedoch König des Pokals wird, geht er erst noch in sich. Nach 14 Tagen beim Eremiten weiß er: „Man darf nicht immer nur seinen geraden Weg gehen.“ Glauben, Liebe, edle Freunde und kluge Männer machen aus dem naiven Bürschchen einen Mann von Format. Die dynamische Inszenierung Schneiders zeigt zwar, dass es keinen Stillstand gibt. Dass wichtige Entscheidungen jedoch nicht immer durch einen Schwerthieb fallen, bleibt oft außen vor.
Herausstechend sind die überaus gelungenen Szenen, in denen Parzival seine Fehltritte peinigen: In formvollendeter Zeitlupe und ohne große Erläuterungen sprechen hier die Bilder und Bewegungen für sich. Aus dieser Kategorie hätte es gerne mehr geben dürfen, von einigen Kalauern – passend zu Ostern geht dem einen Herrn denn auch mal etwas auf die Eier – dafür gerne weniger. Am Ende regt das Ensemble mit einem mittelalterlichen Tanz das Publikum zu jubelndem Applaus an: Befreiende Bewegungen als Läuterung? Die Relevanz des Stückes für die Gegenwart verliert sich hier im Ringelpiez.
weitere Aufführungen: noch den ganzen Mai, dienstags bis samstags außer 27. April, jeweils 20 Uhr
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