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Des Königs kurze Leine

Marokkos Monarch Mohammed VI. hatte eigentlich Pressefreiheit versprochen, macht aber die Arbeit der freien Medien unmöglich: Reaktionäre Repressalien sind wieder an der Tagesordnung

von REINER WANDLER

„Die Zensur ist zu etwas Absurdem verkommen“, beteuerte Marokkos Kommunikationsminister Mohammed Larbo Messari Anfang des Jahres. Und die in den langen, dunklen Jahren unter Hassan II. an die Schere gewöhnte Presse wertete diese Aussage als Zeichen des Wandels unter dem neuen, als liberal geltenden König, Sohn Mohammed VI.

Einige Blätter entdeckten die Lust am Experimentieren. Mehr noch, als Emissäre des Monarchen durch die Redaktionen tingelten, um mitzuteilen, dass „Ihre Majestät“ eine breitere Themenauswahl wünsche. Doch schnell mussten sie feststellen, dass auch weiterhin eine breite Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft.

Zuletzt machten die Wochenzeitungen aus dem Hause Media Trust, die französischsprachige Le Journal und die arabophone Assahifa, diese Erfahrung: Auf Anweisung von Premierminister Abderrahmane Youssoufi durften die in Frankreich gedruckten Blätter nicht eingeführt werden. Der Grund: Auf der Titelseite prangte ein Foto von Polisario-Chef Mohammed Abdelaziz. Dieser erklärte in einem Interview, warum seine Befreiungsbewegung seit 25 Jahren gegen die marokkanische Besatzung der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara kämpft. „Die Veröffentlichung des Interviews verletzt die Gefühle des marokkanischen Volkes“, hieß es pikiert im Regierungskommuniqué.

TV-Programmchef wegenPresseschau entlassen

Als in der wöchentlichen Presseschau auf 2M, dem zweiten Kanal des marokkanischen Fernsehens, die beiden Zeitungen dennoch vorgestellt wurden, entließ Youssoufi kurzerhand den Direktor, den Programmschef und den Chefredakteur des Hauses.

Youssoufi, alter Sozialist und einst selbst wegen „Meinungsdelikten“ im Exil und Gefängnis, warf den Fernsehjournalisten „schweres berufliches Fehlverhalten vor“ und macht sich so zum Wächter über die „heilige Einheit der Nation“, zu der der verstorbene Monarch Hassan II. die militärische Besetzung der Westsahara erhoben hatte. Bereits unter Hassan II. hatte Le Journal immer wieder unliebsame Themen aufgegriffen. Folteropfern stand die Zeitung von Anfang an ebenso offen wie exilierten Regimekritikern. Bis dem alten Monarchen das Treiben zu bunt wurde: Ganz nach algerischem Vorbild wirkte er auf die Druckereien ein, keine Aufträge von Le Journal mehr entgegenzunehmen. Der Herausgeber des Blattes lässt seitdem in Frankreich drucken.

Neben Le Journal und Assahifa nahm auch die erst seit knapp zwei Monaten erscheinende Wochenzeitung Demain die versprochene neue Freiheit ernst. In den ersten Nummern waren so sensible Themen wie Islamismus, Westsahara und die bisher verschwiegenen Beziehungen zwischen Hassan II. und den israelischen Geheimdiensten zu finden. Jetzt kämpft das Blatt gegen die Schließung, nachdem sich der Hauptanteilseigner zurückgezogen hat. „Auf Druck höchster Instanzen“, weiß Chefredakteur Ali Lmrabet, der einst auch Le Journal aus der Taufe gehoben hatte.

So haben die meisten Untertanen ihre Lektion aus den schwarzen Jahren der Repression gelernt: Sie passen sich dem doppelten Diskurs von Freiheit und ihren Grenzen an. Und die parteiabhängige Tagespresse verteidigt das Gängelband von Regierung und Königshaus, allen voran die sozialistische Ittihad Al Ichtiraki: „Der Islam, die Monarchie und die Einheit unseres Territoriums sind die roten Linien, die nicht überschritten werden dürfen“, heißt es in einem Editorial. Paradoxerweise hatten dabei viele aus der heutigen Belegschaft unter Hassan II. selbst mit Repression und Gefängnis leidvolle Bekanntschaft gemacht.

Das Titelblatt und fünfInnenseiten blieben weiß

Le Journal hat sich erst einmal dieser „Linie des politisch Korrekten“ gebeugt: Die verbotene Nummer ist zwar auf dem Markt, doch das Titelblatt und fünf Innenseiten sind weiß.

Wer über die nötige Technik verfügt, kann dennoch das Interview mit Polisario-Chef Mohammed Abdelaziz lesen: Bei der französischen Wochenzeitung Courrier International sind die umstrittenen Texte unter www.courrierinternational.com/dossiers/lejournal/lejournal.htm zu finden – nicht nur für Marokkaner.

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