Die Stadt frisst ihre Kinder

Morden für die Moral: Die coolen Lifestylebildern von Toshiaki Toyodas „Pornostar“ laufen auf eine ausgesprochen offensive Zivilisationskritik hinaus

Was da passiert, bekommt man nicht in den Griff, es wird einfach nicht zur Geschichte. Also: Am besten, man lässt sich einfach treiben, so wie es die Figuren im Film auch tun. Die Punks in den Spielhöllen, die Skater auf den Straßen und in den Parks, die Yakuza, die auf den nächsten Auftrag warten.

Wahrscheinlich beginnt „Pornostar“ deshalb mit verlangsamten Bildern, die Zeit muss sich noch weiter dehnen. Menschen auf dem Weg zur Arbeit, die Zeitlupe nimmt dem alltäglichen Gang etwas von der Dynamik. Das Schlenkern der Arme bekommt etwas Gemächliches, Schlendrianhaftes.

Da taucht irgendwo im Hintergrund ein schwarzer Fleck auf, ein Typ mit coolem Parka, viel zu warm für die Jahreszeit. Durch seinen zielstrebigen Schritt hebt sich der jungsche Kerl noch mehr von der Masse ab. Allmählich füllt die aus dem Nichts kommende Erscheinung das Bild aus. Fast scheint der Kopf die Kamera zu rammen. Ein beängstigend maskenhaftes Gesicht. Auch diese Figur bietet keine Anleitung, um durch den Film zu kommen. Eher ein Getriebener unter den Treibenden. Manchmal fährt die Kamera in Richtung Sonne. Dann ist alles grell – man erkennt endgültig nichts mehr. Einsam dröhnt der Bass. Und doch gibt es so etwas wie einen Sinnzusammenhang für die unterkühlten, durchgestylten Momentaufnahmen megapolischen Lebens, die sich in jedem Lifestylemagazin bestens machen würden.

Stichwort japanische nouvelle vague bzw. japanische Independents – auch der Regisseur Toshiaki Toyoda gehört zu der Bewegung, die seit knapp einem Jahrzehnt mit einer Filmsprache auf sich aufmerksam macht, die aus den Trends der jeweiligen Jugend- oder Gegenkultur kommt und sich mit explizit hippen Mitteln ihr Bild des gegenwärtigen Japan sampelt. Der angesagte Parka mit seinem dicken Futter als Schutz gegen eine universelle Kälte, die überdimensionale Kapuze als Zeltdach und Ersatz-Zuhause in einer abgefuckten Hochhauslandschaft. Da muss die Yakuza als Sinnbild fürs alte Japan herhalten, als letzte Instanz, die noch so etwas wie Rück- bzw. Zusammenhalt liefert. Stolz bezeichnen sich die gerade erst den Pickeln entronnenen Skater als „Young Yakuza“. „Wird nicht gebraucht“, kommentiert die Kapuzengestalt, und schon hat der nächstbeste Dreikäsehoch ein Messer im Oberschenkel. Die ultracoole, auf Leder getrimmte Sporttasche ist um eine Waffe leichter geworden.

Plötzlich macht auch der Titel Sinn: „Pornostar“ – nur findet die Entblößung hier auf moralischer Ebene statt, als ausgesprochen offensive Zivilisationskritik des einsamen Rächers. Wie Melvilles „Samurai“ und Scorseses „Taxi Driver“ wirft auch dieser neojapanische Held mit ziemlich kruden Mitteln die letzten ethischen Fragen auf, was einige Löcher in diversen Körpern mit sich bringt. Durchstilisierte exzessive Gewaltausbrüche, deren Nutzlosigkeit auf die des organisierten Verbrechens verweist und sie doch nur verdoppelt. Und das in Tokios In-Stadtteil Shibuya, zwischen Nutten, Geschäftsleuten, amüsierentschlossenen Bürgern, neongrellen Bars und Graffiti. Lauert da eine moralinschwere Botschaft? Ja! Aber eine, die sich mit Toyodas unterkühlter Filmsprache wieder neu erzählen lässt.

ANKE LEWEKE

„Pornostar“. Regie: Toshiaki Toyoda. Mit: Koji Chihara, Onimaru, Rin Ozawa u.a. Japan 1998, 98 Min.