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Die Schule der edlen Herzen

Wie die Musik einem Begriff wie „Empfindsamkeit“ auch über das 18. Jahrhundert hinaus noch Gültigkeit verleihen kann: Der Dirigent Peter Rundel und das Ensemble Oriol im Kammermusiksaal der Philharmonie

Die Empfindsamkeit postmoderner Innerlichkeit? Da möchte man doch gleich einwenden: Empfindsamkeit ist ausschließlich eine Kategorie des 18. Jahrhunderts. Der Ästhetik der Aufklärung galt Kunst als die Schule des Herzens, die innere Regungen und Empfindungen weckte und kultivierte.

Die Musik, ihr unmittelbar ansprechender Melos, wurde hier besonders gefordert. Es entwickelte sich ein regelrechter Kult um das Adagio, bei dem sich das Publikum zu kollektiven Weinkrämpfen versammelte. Versteht man unter Empfindsamkeit aber darüber hinaus das Verlangen, musikalischen Ausdruck zu subjektivieren, ihn auf Innerlichkeit und Emotionalität zurückzuführen, dann beansprucht der Begriff weiterhin Gültigkeit. Insbesondere das 20. Jahrhundert hat diesem Ansatz eine zweite Blüte beschert. Auf diesen erweiterten Empfindsamkeitsbegriff pochen das Ensemble Oriol und Dirigent Peter Rundel mit ihrem Programm. Ja, das auf den ersten Blick überambitioniert und verquast wirkende Komponistentableau wird vor diesem Hintergrund erst verständlich. Denn im Versuch, inneren Regungen eine Stimme zu verleihen: Darin begegnen sich Carl Philipp Emanuel Bach und Joseph Haydn auf der einen Seite, Morton Feldman, Giacinto Scelsi und Hans Zender auf der anderen. Es sind derartige Brückenschläge zwischen den Jahrhunderten, mit denen sich das Berliner Ensemble seit 1987 ein markantes und überzeugendes Profil erspielt hat.

Empfindsame Innerlichkeit beruht bei Feldman, Scelsi und Zender allerdings auf grundverschiedenen Voraussetzungen. Feldman ist allein deshalb auf sich selbst zurückgeworfen, weil er die Tüchtigkeit jedweder Kommunikation in Frage stellt. Folgerichtig agiert die Solobratsche in „The viola in my life II“ (1970) auch nicht im konzertanten Wettstreit mit dem Ensemble, sondern schält sich nur gelegentlich aus dem intentionslos fließenden Gesamtklang heraus.

Scelsi hingegen verliert sich in einer mystischen Klangenergetik, die Ratio aus der Musik verbannt. Das pulsierende Innenleben eines einzelnen Tones wird in der Streicherkomposition „Anâgâmin“ (1963) zum Residuum einer klingenden Meditation. Zender schließlich orientiert sich an der kühlen Askese fernöstlicher Ästhetik. Seine „5 Haiku“ (1983) für Flöte und Streicher erschöpfen sich im musikalischen Äquivalent zu den 5 + 7 + 5 Silben, die die japanische Gedichtform auszeichnen: Hier nähert sich das komponierende Subjekt dem Verstummen. Gemeinsam ist diesen drei Entwürfen der Verzicht auf eurozentristische Vernünftelei. Vernunft wird allenfalls noch als Variable emotionaler Kognition ergründet. Und genau darin unterscheidet sich die Empfindsamkeit des 20. von der des 18. Jahrhunderts: Denn der Aufklärung ist es ja umgekehrt darum gegangen, die Empfindungen mit Hilfe der Vernunft zu erhellen.

An Wirkung hat der ältere Entwurf nichts eingebüßt: Wenn Flötist Emmanuel Pahud heute abend im Kammermusiksaal der Philharmonie zum langsamen Satz des d-moll-Konzerts von C. P. E. Bach ansetzt, wird sich der schmerzerfüllte, mit Seufzern gezierte Vortrag des Solisten noch dem gesottenen Hörer als Urbild eines edlen Herzen offenbaren. Auch wenn die Tränen wohl ausbleiben. BJÖRN GOTTSTEIN

Heute ab 20 Uhr, Kammermusiksaal der Philharmonie

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