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zwischen den rillenBig in Hongkong: Aqua und Modern Talking erobern den Globus mit Euro-Maschinenbeat

LIEDER WIE HÜPFBÄLLE

Früher stand Thomas auf rosa Anzüge, und Dieter mochte marmorierte Jeans. Früher schmierte sich Thomas überall mit Lipgloss ein, und Dieter drohte im Refrain immer mit der Faust. Früher war Modern Talking die gruseligste Band auf dem Planeten und hatte trotzdem Airplay bei „Ronnie's Pop Show“ im ZDF.

Zum Glück gab es 1984 noch kein Kabelfernsehen, als die erste Modern-Talking-Single „You're my heart, you're my soul“ erschien, sonst wäre niemand der Seuche entkommen. Und als Deutschland wieder vereinigt und endlich auch umfassend verkabelt war, gab es Modern Talking nicht mehr: Thomas hatte mit Nora und Dieter Schluss gemacht und lebte als Single in London; Dieter blieb bei seinen Veronas und Naddels in Rosengarten bei Hamburg. Seine Lieder sangen nur noch gescheiterte Existenzen wie Chris Norman von Smokie oder Heribert Faßbender, für den Dieter die Samstagabend-Sportschau-Erkennungsmelodie geschrieben hatte.

Wenn also mit einem Comeback gar nicht zu rechnen war, dann bei Modern Talking. Bis 1998 zumindest. Da wurde ihre Reunion mit einem Auftritt in Thomas Gottschalks „Wetten, dass ...?“ vorbereitet. Und ihre aktuelle Single „Don't take away my heart“ wird als Weltpremiere während der „Lotto Show“ morgen im ARD präsentiert. Offenbar sind Modern Talking noch immer ein Produkt, das am besten ins Format des öffentlich-rechtlichen Fernsehens passt. Von Harald Schmidt werden sie erst wieder am kommenden Donnerstag zerlegt.

Die Verkaufszahlen sprechen jedenfalls nicht für eine Special-Interest-Fangemeinde, die in den Neunzigerjahren Modern Talking als Trash-Derivat entdeckt hat, so wie Medienleute auf „Peep!“ und Ballermann abfahren. Wer glaubt, Thomas Anders und Dieter Bohlen müssten in der Art von Rex Gildo, Jürgen Drews oder Mooshammer für vergnügte Schizos herhalten, die sich an der Falschheit des Kapitalismus weiden, weil sie selbst zu schwach für Veränderungen sind, der irrt. Modern Talking taugen nicht zur Karikatur der Verhältnisse, sie sind einfach bloß mehrheitsfähig. Bohlens Lieblingsbuch heißt „Ökonomie der Aufmerksamkeit“, und Anders beklebt in Koblenz Ostereier für wohltätige Zwecke. So leben deutsche Popstars im Jahr 2000. Popstars, die sich mit ihrem eunuchenhaften Gejaule auf eine Gesamtsumme von gut 60 Millionen Tonträgern heraufgeschraubt haben, irgendwo zwischen Elton John, Elvis und den Beatles.

Tatsächlich sind Modern Talking ein Unternehmen, das weltweit agiert. Die größte Expansion findet dabei in Asien statt, wo bereits Ende der Achtzigerjahre Kassetten mit illegalen Cover-Versionen auf Hongkongchinesisch kursierten. Dort stehen Modern Talking allerdings nicht in dem Ruf, musikalischer Auswuchs des Kaputten zu sein, sie sind alltägliche Muzak wie Celine Dions „Titanic“-Schnulze auch. Mainstream auf Augenhöhe der Realität. Irgendwie scheinen sich jedenfalls die Papprhythmen und das süßliche Synthiegequietsche von Modern Talking mit den feinen Nuancierungen asiatischer Melodien zu vertragen.

Vielleicht ist alles auch nur ein kulturelles Missverständnis, bei dem sich plötzlich Zurückhaltung und Gespür für Andeutungen ausgerechnet mit der Stumpfheit von Songs ergänzen, die nach dem immer gleichen Schema von Dieter Bohlen am Computer zusammengehackt werden: Strophe, Kastratenrefrain, Strophe, Klickerklacker, aus. Aber Erfolg ist Erfolg, das hat auch Dieter verstanden, der die neue Modern-Talking-LP „2000 – Year of the dragon“ genannt hat und zum Fotoshooting fürs Album gemeinsam mit Thomas feixend im Vergnügungsviertel von Hongkong herumsteht.

Bei Aqua ist die Verschiebung ähnlich gelagert. Nur dänisch. 1997 hatte die Spaß-Techno-Band aus Kopenhagen ihren ersten internationalen Hit mit „Barbie Girl“, inzwischen verkaufen Aqua von Chile bis Taiwan ihre CDs in Millionenauflage. Das Songkonzept basiert auf einer durchgängigen Formel: Rene Dif – ein dicker Typ mit Vollglatze – rattert seine Texte im Kommandoton herunter, Lene Grawford Nyström – ein durchtrainierter weiblicher Kleiderständer mit roten Haarflammen – kiekst dazu ein paar Satzfetzen im Refrain. Der Rest ist Euro-Maschinenbeat, aber zack, zack. Mal geht es um ein Leben als Partypüppchen, mal um Liebesmühen im Urwald oder um Astronauten in Unterseebooten. Wichtig ist bei Aqua die Kompromisslosigkeit des Schemas, in dem sich alle Lieder auf ähnliche Weise wiederholen.

Daraus ergibt sich eine fast kindliche Überzeichnung, mit der die reduzierte musikalische Welt sich darbietet: Hund, Katze, Haus, Song. Deshalb produzieren Aqua ihre Lieder wie Hüpfbälle, haben eine eigene Cartoon-Serie im Fernsehen – und Erfolg in Asien. Denn das Comic-hafte ihrer Erscheinung ist ja gerade Ausdruck einer Künstlichkeit, die durch ihre Permanenz den Alltag besiegt. Aqua leben geschützt in einer Blase aus guter Laune, die nur mit künstlichen Lebenswelten in Berührung kommt. Diese Art der Fiktionalisierung als Popstar ist Grundlage für das Produkt, für das Aqua als Band einsteht: Eine Oberfläche, in der sich Oberflächen spiegeln. Das erzeugt eine euphorische innere Leere, die nicht einmal mit der Stille einer Komposition von John Cage zu erreichen ist. Man könnte auch sagen: Es rauscht noch schneller und monotoner als das tägliche Leben. Und dafür haben offenbar die Menschen in der Aufbauhektik der Tigerstaaten am meisten Verständnis. Erst recht im Jahr des Drachens.

HARALD FRICKE

Modern Talking: „2000 – Year of the dragon“ (BMG)Aqua: „Aquarius“ (Universal Music)

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