Stiller Ostseehering

An Mecklenburg-Vorpommerns Küste wird der Frühjahrlaicher nachhaltig gefangen – und kann mit neuen Kartoffeln, Petersilie und Butter genossen werden

Wo bleibt das Gute? Nicht mit High-Tech-Gerät, großen Schiffen und Schleppnetzen, sondern mit Stellnetzen und Reusen wird an Mecklenburg-Vorpommerns Küste der Hering nach alter Väter Sitte aus dem Wasser geholt. Der bekannteste aller Speisefische ist an der Ostsee nicht über-, sondern unterfischt. Die deutsche Quote von achtzigtausend Tonnen wird längst nicht erfüllt. Gerade mal elftausend Tonnen holen die Fischer in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern raus – größtenteils mit traditionellen Methoden.

Ursache für die Unterfischung ist der schlechte Markt für den Hering. Maximal dreißig Pfennig erzielen die Fischer fürs Kilo. Erst ab vierzig Pfennig würde sich die Arbeit lohnen. Eine Änderung erhoffen sich die ostdeutschen Heringsfischer vom Aufbau einer eigenen Fischverarbeitung auf der Insel Rügen. Sollte es nicht gelingen, den deutschen Heringsfang zu liften, dann wird wohl Dänemark von der Brüsseler EU den Zuschlag bekommen und die deutschen Anteile übernehmen. Dänemark macht seit langem Druck. Es will den Hering in noch größeren Mengen zu Fischmehl verarbeiten und damit Schweine und Bullen, Puten und Masthähnchen, Lachse und Steinbutte mästen.

Auf hundert- bis hundertfünfzigtausend Tonnen Hering wird der Laichfischbestand der deutschen Ostseeküste geschätzt. Das Lieblingsterrain ist Rügen. Da nur geschlechtsreife Heringe zum Laichen kommen, ist gewährleistet, dass auch nur ausgewachsene Fische ins Netz gehen. Werden die Stellnetze an den richtigen Stellen ausgebracht, ist der Beifang anderer Fische gering. In arbeitsaufwendiger Handarbeit werden die Heringe nach dem Einholen von den Fischerfamilien „ausgepukt“, das heißt aus den Maschen gepflückt. Die Alternative zum Stellnetz sind Reusen. Das sind riesengroße Unterwasserkästen, in die der Hering hineingelockt wird, wenn er die Küste entlangwandert.

Leider gibt es nirgendwo ein Zertifikat für nachhaltige Heringsfischerei, bedauert die Bundesforschungsanstalt für Fischerei. Wer ganz frischen Hering – und nur der schmeckt! – aus nachhaltigem Fang sucht, der muss ihn schon direkt bei den Ostseefischern kaufen oder aber selbst angeln! Ein Eimer voll in zwei Stunden ist die durchaus übliche Beute.

Hering wird im Frühjahr mit neuen Kartoffeln, Petersilie und Butter gegessen, ein Trio, das einst in feinsten Kreisen wohl gelitten war. Gebratener Hering, so das „Appetitlexikon“ von 1894, brauche selbst einen Direktorentisch nicht zu scheuen, sei aber als Sonntagsessen immer noch die Ausnahme.

Gesalzener Hering habe einst für die Europäer dieselbe Bedeutung gehabt wie die Kartoffel. Hierzulande sei dagegen der marinierte Hering der Favorit, vor allem als „bevorzugter Wiederhersteller“ des alkoholgestörten Gleichgewichts: „O Hering, bester Hering, nimm meinen Schwur in Acht / Nie mehr verkneip ich wieder die keusche Mitternacht!“

MANFRED KRIENER