piwik no script img

Ketzerische Eschatologie

Chant down Babylon: Franz Schmidts apokalyptisches Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“ am Sonntag in der Musikhalle  ■ Von Roger Behrens

Der österreichische Komponist Franz Schmidt gehört zu den unbekannteren Tonkünstlern des 20. Jahrhunderts. 1874 geboren, Hofrat und Ehrendoktor, Klavier- und Kompositionslehrer, hatte Schmidt mit seiner Oper Notre Dame 1914 einigen Erfolg – das Zwischenspiel der Oper nach dem Roman von Victor Hugo erreichte sogar größere Popularität. Schmidt komponierte vier Sinfonien, einige Quintette und Quartette, Klavier-, Orgel- und Chorwerke. Durchsetzten konnte er sich allerdings nicht. Den Spätromantiker in der Tradition Bruckners trieb dies zunehmend in die Innerlichkeit; sein Blick auf das Soziale verflüchtigte sich ins Religiöse. Für die musikalische Moderne im Schatten der Dekadenz und des Ersten Weltkriegs nichts Ungewöhnliches; es waren bei Mahler, Schönerg, selbst Pfitzner, immer die großen religiösen Themen, mit denen das Scheitern der bürgerlichen Idee vertont wurde.

Auch Schmidts Oratorium Das Buch der sieben Siegel von 1937, zwei Jahre vor seinem Tod fertig gestellt, ist nur anscheinend der Schlusspunkt einer Weltflucht; gerade die musikalische Verarbeitung der Offenbarung des Johannes birgt genügend Ambivalenz, die sich aus dem Ketzerischen des revolutionären Christentums verstehen lässt.

Man muss in der Bibel nachlesen, um Einblick in dieses gewaltige Werk zu erhalten, welches Matthias Janz in großer Besetzung morgen Abend in der Musikhalle zur Hamburger Uraufführung bringt: Es spielen das Sonderjyllands Symfoniorkester, es singen der Symphonische Chor Hamburg, der Flensburger Bach-Chor und die Chorgemeinschaft aus Vor Frue Cantori, Haderslev. Solisten sind Freddy Samsing (Orgel), Majken Bjerno (Sopran), Kirsten Dolberg (Alt), Udo Scheuerpflug (Tenor), Peter Hoyer (Bass). Stefan Vinke (Tenor) singt Johannes, Michael Volle (Bariton) die Stimme des Herrn.

Die Offenbarung des Johannes, die als apokalyptische Vision die Bibel beschließt, wurde erst nach Widerständen ins Neue Testament aufgenommen. Johannes der Alte von Ephesus hat dieses Buch nach Eingebungen verfasst, die er während seiner Gefangenschaft auf der Insel Patmos empfing. Christus erscheint fast größer als sein Vater, weshalb Ernst Bloch hier eine soziale Arche Noah, eine Aufhebung der „absoluten Gott-Transzendenz durch die Gottgleicheit Christi“ deutet. Zwar wurde die Erlösungsfantasie, die nicht nur Auferstehung der Toten verspricht, sondern ebenso Gewalt und Zerstörung, im Interesse der Kirchenmacht ausgelegt, doch ist die staatsfeindliche Spur dieser Schrift nicht zu verbergen. Ihr sozial-geschichtlicher Hintergrund bildet die damalige Christenverfolgung; Babel ist wohl gemeint als antichristliche Weltmacht Rom. Das Bild Babylons, Stadt des Bösen, hat sich freilich auch in der Popkultur – im Reggae ebenso wie in der Science-Fiction – eingeschrieben. Ebenso wie agnus Dei, das gewürgte Lamm als Bezeichnung Christi; in Johannes Apokalypse wird es neben allerlei Lichtmetaphorik und Astralmythos als geknechtetes und sich befreiendes Menschenkind zum Protagonisten schlechthin.

Solche populäre Symbolik und die übertriebene Zahlenmystik geben der Offenbarung einen märchenhaften Zug; dass der Spätromantiker Schmidt sich davon inspirieren ließ, kommt also nicht von ungefähr. Im Rückblick auf das 20. Jahrhunderts lassen sich die entsprechenden Bilder wiederfinden, die in der Offenbarung des Johannes zur Vision des realen Humanismus und der gescheiterten Hoffnung gleichermaßen werden.

Die Offenbarung hebt an mit sieben Briefen an sieben Gemeinden, in denen zur Wachsamkeit und Umkehr gerufen wird. Dann wird Johannes ein Tor aufgetan im Himmel und er erblickt jemanden auf einem Thron, der ein Buch hält, „beschrieben inwendig und auswendig, versiegelt mit sieben Siegeln“. „Und niemand im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde konnte das Buch auftun und hineinsehen.“

Nur das Lamm, „wie wenn es erwürget wäre“ vermag die Siegel zu brechen: Es hatte sieben Hörner und sieben Augen, „das sind die sieben Geister Gottes“. Mit dem Bruch des siebten Siegels erscheinen sieben Engel, die sieben Posaunen blasen. Der Antichrist erscheint, schließlich der letzte Kampf um Babylon, an dessen Ende utopisch entworfen wird: „Und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Monds, dass sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm.“ Schmidt macht dieses Bild konkret – mit aller Strenge und Größe der Klanggewalt.

So, 30. April, Musikhalle, 19.30 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen