: Erinnerung an vier Tode
Eppendorfer Schule soll einen neuen Namen bekommen: Nach Marie Beschütz, die hier bis 1934 unterrichtet hat. Die Nazis haben sie und ihre Schwestern umgebracht ■ Von Sylvia Massow
Sie waren als Jüdinnen geboren, wurden als Kinder gemeinsam mit ihrem Bruder und den Eltern getauft und lebten dann als überzeugte und praktizierende Christinnen in Hamburg. Für die Nazis waren die drei Schwestern Olga, Clara und Marie Beschütz dennoch Jüdinnen. 1941 wurden sie nach Riga deportiert und dort ermordet.
Durch einen Zufall erfuhr die Leitung der Vor- und Grundschule in der Schottmüllerstraße in Eppendorf, dass Marie Beschütz bis etwa 1934 an ihrer Schule unterrichtet hatte. Bis die Nazis sie aufgrund ihrer jüdischen Abstammung aus dem Schuldienst entließen. Ab Herbst soll die Schule den Namen von Marie Beschütz tragen, und eine Gedenktafel soll an ihr Leben und ihren Tod erinnern.
„Die Schule hat den Namen meiner Tante wirklich verdient“, freut sich Marie Beschütz' Neffe, Gert Beschütz. Sie habe sich immer sozial engagiert und sei ein sehr fröhlicher und positiver Mensch gewesen. „Andere Kinder und mich führte sie immer durch ,Alt-Hamburg' und zeigte uns die verborgenen Schätze der Stadt.“ Mal war es ein besonders schöner Torbogen, mal eine verwunschene Treppe.
Der fast 80-Jährige erinnert sich noch gut an die Ereignisse in der Nazizeit: Seine Mutter war „arisch“, sein Vater der Bruder von Olga, Clara und Marie. Während der 19-jährige Gert Beschütz in Hamburg blieb, flohen seine Eltern wenige Wochen vor Kriegsausbruch nach England. Der Vater war einen Monat im KZ Sachsenhausen gewesen. Die Nazis hatten ihn mit der Auflage freigelassen, Deutschland zu verlassen. „Ein Verwandter hatte versprochen, sie aufzunehmen“, erzählt Gert Beschütz. „Sonst hätten sie gar kein Visum bekommen.“ Doch für seine Tanten und seine damals 91-jährige Großmutter wollte oder konnte niemand bürgen. Sie mussten in Hamburg bleiben. Er selbst wurde ab 1944, als „Mischling ersten Grades“, zur Zwangsarbeit herangezogen und lebte in ständiger Furcht vor den Nationalsozialisten.
Die Ereignisse des 6. Dezember 1941 sind Gert Beschütz unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt: Seine Tanten hätten schon lange gewusst, dass sie deportiert werden sollten. Und dann kam sie, die Aufforderung, sich bei Tagesanbruch auf der Moorweide für den Abtransport einzufinden.
Ihrer alten Mutter hätten die Tanten nicht genau erklärt, was vor sich ging. „Sie wusste nicht einmal von dem Judenstern, den sie hätte tragen müssen.“ Seine Tanten versuchten, die wichtigsten Sachen zusammen zu packen. Als das Haus schon auf dem Kopf stand, erzählten sie ihrer Mutter, dass sie abgeholt würden. „Man hatte ihnen vorgelogen, sie würden zum Arbeits-einsatz in die besetzten Ostgebiete gebracht werden.“
In letzter Minute habe sich ein Pfarrer für die drei Schwestern eingesetzt: Direkt bei der Gestapo habe er darum gebeten, der alten Dame doch wenigstens eine ihrer Töchter zu lassen. „Aber die Nazis haben meine Großmutter als ,altes Judenweib' beschimpft.“
Für die alte Dame, die bis dahin über einen eisernen Lebenswillen verfügt hatte, habe es nur eine Konsequenz gegeben: „Sie ließ sich von Olga ein Gift geben.“ Beschütz kommen die Tränen: „Doch die Dosis war nicht hoch genug.“ Seine Großmutter sei in ein jüdisches Krankenhaus gebracht worden und erst acht Tage später gestorben. Von seinen Tanten habe Gert Beschütz nie wieder etwas gehört. 1947 ließ sein Vater sie für tot erklären.
Diese Erinnerungen sollen vor allem den Schülern der zukünftigen Maria-Beschütz-Schule zugute kommen. Schulleiterin Wally Schollmeyer hat bereits in einem Projekt erlebt, dass auch Grundschüler am Thema Nationalsozialismus interessiert sind. Für die Kinder sei es „eine einmalige Gelegenheit mit einem Zeitzeugen zu sprechen“. Sie hofft, dass eine solche Begegnung den Kindern als so lebendige Erfahrung in Erinnerung bleibt, dass sie vielleicht einmal ihren eigenen Kindern davon erzählen. „So bleibt die Geschichte lebendig.“ Es bestehe sonst die Gefahr, dass die Vergangenheit in Vergessenheit gerate, spätestens, wenn es keine Zeitzeugen mehr gebe.
Zu dem neuen Namen kommt die Vor- und Grundschule in der Schottmüllerstraße übrigens durch einen Zufall: Der Politbildhauer Gerd Stange suchte gemeinsam mit dem Stadtteilarchiv Eppendorf nach Zeitzeugen des NS-Regimes, die in Verbindung mit der Wolfgang-Borchert-Schule stehen. Für die 100-Jahr-Feier der Schule in der Erikastraße 41 wollte Stange eine Videodokumentation erstellen.
Gert Beschütz meldete sich und berichtete, dass seine Tante an der Grundschule in der Erikastraße lehrte. Dass Marie Beschütz jedoch gar nicht an der Wolfgang-Borchert-, sondern an der Nachbarschule lehrte, bemerkten alle Beteiligten erst, als eine Gedenktafel schon fast installiert war.
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