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Brauner Spuk am Stadtrand

Mehr als 1.000 Rechtsextreme marschierten am 1. Mai im Berliner Plattenbaubezirk Hellersdorf auf. Die Crème de la Crème der bundesdeutschen Neonazis erschien. Nur für AntifaschistInnen war Hellersdorf weitgehend verbotenes Terrain

von ANDREAS SPANNBAUER,BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA und DIRK HEMPEL

11.00 Uhr. In Berlin-Hellersdorf, am U-Bahnhof Louis-Lewin-Straße, sammelt sich ein mageres Grüppchen von Neonazis, gerade mal 300 schätzt die Polizei zu diesem Zeitpunkt. Sie sollen nicht die einzigen bleiben. Die Bundesspitze der organisierten Rechtsextremen ist noch zur NPD-Kundgebung in den Plattenbaubezirk am Rand Berlins unterwegs. Mehr als 1.000 werden es am Schluss sein.

Ein paar versprengte AntifaschistInnen haben die Absperrungen der Polizei unterlaufen. Gut gekleidete Linke, etwa 150 Leute, warten noch in unauffälligen Kleingruppen auf den geplanten Aufmarsch der NPD, um später ganz und gar nicht unauffällig die Nazis zu übertönen. Sie sollen nicht mehr werden. Eine Gegenkundgebung ist verboten.

11.00 Uhr. Nur eine U-Bahn-Station entfernt, am Alice-Salomon-Platz, sammeln sich mehrere hundert Menschen unter dem Motto „Bunte Vielfalt statt Brauner Einfalt“. Ein breites Aktionsbündnis aus Parteien, Gewerkschaften, antifaschistischen Vereinen hat zu einem Kulturfest geladen.

Doch nicht alle, die kamen, waren freiwillig da. Viele Jugendliche, die die Polizei wegen ihrer gefärbten Haare, Palästinensertücher oder Che-Guevara-T-Shirts als Linke ausmachte, wurden einige Stationen vor dem NPD-Versammlungsort aus der U-Bahn geholt und erhielten Platzverweis. Ein Jugendlicher aus Hellersdorf erzählt, dass der Alice-Salomon-Platz, auf dem das Fest mit Bier, Bratwurst und Infoständen stattfindet, unter der Woche eine „No-go-Area“ sei: „Dort sitzen die Skins, trinken ihr Bier und pöbeln Linke an.“

Schon am frühen Morgen ist der Bezirk Hellersdorf auf den Beinen. Immer wieder biegen Trauben von jungen, alternativ gekleideten Menschen um die Häuserecken der Plattenbauten. 200 bis 300 sind unterwegs. Das Verbot der antifaschistischen Gegendemonstration durch die Gerichte schreckt niemand ab.

Am Theaterplatz, etwa einen Kilometer vom Kundgebungsort der NPD entfernt, hat die PDS eine Mahnwache angemeldet. Doch lange hält es fast keinen hier. In kleinen Gruppen versuchen die Nazigegner, zum Kundgebungsort vorzudringen. Doch in der Louis-Lewin-Straße ist der Weg für viele zu Ende.

Vor den schweren Stiefeln der Polizisten sitzen drei junge Mädchen auf dem Asphalt und spielen Karten. Auf den Balkonen der rotbraunen Wohnhäuser stehen die Anwohner dicht gedrängt und beobachten das Spektakel.

12.00 Uhr. Ganz undeutsch beginnen die Rechtsextremen ihre Veranstaltung in Hellersdorf mit einer einstündigen Verspätung. Schon kommt es zu den ersten Auseinandersetzungen: Inmitten der versammelten Rechtsextremisten entrollen mehr als hundert antifaschistische Gegendemonstranten Transparente und übertönen mit „Nazisr aus!“-Rufen die Rede des fassungslosen Anmelders, des Berliner NPD-Vorsitzenden Andreas Storrs.

Die Neonazis sind aus dem gesamten Bundesgebiet zu der von der rechtsextremen NPD organisierten Veranstaltung angereist. Der Nationale Widerstand Nordharz präsentiert sich, die Kameradschaft Ruhrgebiet ist bei der Sache, und die Kameraden aus Harburg, aus Magdeburg und Halle stehen stramm zur Fahne. Aus Dänemark grüßt Jonni Hansen von der Dänischen Nationalsozialistischen Bewegung (DNSB). Führende Kader der NPD sowie der so freien Kameradschaften nehmen an dem Aufmarsch teil: zum Beispiel der Berliner Oliver Schweigert, der im Februar eine Gedenkveranstaltung für den SA-Mann Horst Wessel angemeldet hatte. Christian Worch aus Hamburg und Friedhelm Busse sind dabei, beide ehemalige Führungsmitglieder der 1994 verbotenen FAP.

Und die Polizei drückt ihr rechtes Auge zu: Die Ordnungshüter ignorieren, dass die Rechtsextremen gegen die Auflage verstoßen, nicht mehr als acht schwarzweißrote Fahnen mitzuführen. Neben der Kundgebung konnten die Nazis auch zwei Demonstrationszüge durch Hellersdorf durchführen. Die mit ihren Reisebussen zu spät gekommenen Neonazis zogen in Marschformationen von ihren Parkplätzen mehr als einen Kilometer weit durch den Bezirk. Im Vorfeld hatte das Berliner Oberverwaltungsgericht der NPD nur eine Kundgebung zugestanden, eine Demonstration hatten die Richter ausdrücklich untersagt.

Berlins Polizeipräsident Hagen Saberschinsky kann in den durchgeführten Demonstrationen allerdings keinen Verstoß gegen die richterlichen Auflagen entdecken. Aus Schutz vor Gegendemonstranten hätten die angereisten Nazis als Zug zum Kundgebungsort geleitet werden müssen. „Es war eine Massierung von Versammlungsteilnehmern, keine Demonstration“, so Saberschinsky zur taz. Der Polizeipräsident beobachtete seit Veranstaltungsbeginn das Geschehen in Hellersdorf persönlich. Auch die Nichteinhaltung der Auflage des Verwaltungsgerichts, die Veranstaltung bis 14 Uhr zu beenden, wird von den Polizisten nicht weiter geahndet werden.

Bezirksbürgermeister Uwe Klett (PDS) dankt dagegen der Polizei, die das Fest mit zahlreichen Beamten bewacht. „Vielleicht bringen wir es einmal fertig, dass die Polizei nicht im Dienst, sondern privat hier teilnimmt.“ Ein Hellersdorfer Jugendlicher beklagt das Verbot der linken Gegendemonstration. „Das verschlechtert das Image für Berlin.“ Das könne man auch mit dem Fest nicht wegbügeln. Der Vizepräsident des Auschwitz-Komitees, Kurt Goldstein, sagt, dass es sich bei den Teilnehmern des NPD-Aufmarschs „um die Enkel der Nazis von 1933 bis 1945 mit den gleichen demagogischen Parolen“ handele. Der ehemalige Auschwitz-Häflting kritisiert die Richter, die das Polizeiverbot der Gegendemo bestätigt hatten, scharf: „Das sind die Schüler der Blutrichter, die damals zehntausende aufs Schafott schickten.“

Während dieser Rede noch viele Jugendliche lauschen, die nicht zur NPD durchgekommen sind, machen sich im Laufe des Festes immer mehr von ihnen auf in Richtung NPD.

Berlin-Hellersdorf, etwa 14.00 Uhr. Inzwischen demonstrieren bald 1.000 Rechtsextreme für Deutschtum und Arbeit für Deutsche. Doch bald soll Schluss sein mit dem Spuk, Polizei-Einsatzleiter Michael Knape will verhindern, dass weitere 350 Nazis aus dem norddeutschen Raum zu ihren Gesinnungsgenossen stoßen. Knape ist von seinen Kollegen im Umfeld der Kundgebung schlecht informiert, schon strömen die Rechten auf den Platz.

Auf dem Alice-Salomon-Platz dagegen verlieren sich nun die Festteilnehmer gegen rechts. Man hat sich gefreut, dass es friedlich geblieben ist. Und dass es so viele gegen rechts geworden sind. Nur ein Teil der Antifaschisten bleibt stationär: In drei Polizeikesseln braten etwa 60 bis 80 Demonstranten in der Sonne und warten darauf, Hellersdorf wieder verlassen zu dürfen.

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