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„Kultur in Berlin, das ist blindwütiges Sparen“

Der Berliner Senat, dem Bildung doch so wichtig ist, schließt die etablierte Lessing-Hochschule. Eine Polemik über einen Meter U-Bahn

BERLIN taz ■ Eine weiße Villa im feinen Berliner Vorort Dahlem, ein grüner Garten, geeignet für fröhliche Feste, drinnen kleine und große Seminarräume und immer zeitgenössische Kunst an den Wänden. Nichts erinnert an die Vergangenheit als Konsulat der ČSSR. Nichts auch weist darauf hin, dass hier der Ort ist, an dem die Berliner Bildungspolitik ihr jüngstes Sparopfer gefordert hat: Die Lessing-Hochschule muss schließen, weil ihr die Zuschüsse von heute auf morgen um die Hälfte gekürzt wurden.

Die Verlängerung der Lehrerarbeitszeit in Berlin um eine Stunde ist noch nicht ganz verdaut, da zeigt der Senat, wie skrupellos er kürzen kann. Ausgerechnet im Jahre des 100. Jubiläums wird die etablierte, erfolgreiche, angenommene Einrichtung der Erwachsenenbildung praktisch liquidiert. 210.000 Mark sollte der Etat für das Jahr 2000 betragen. Nun soll es nur noch 100.000 Mark geben. Von administrativer Kurzsichtigkeit lässt sich schwerlich reden. Der zuständige Senator heißt Klaus Böger und ist von Berufs wegen Erwachsenenbildner. Was ist nur los in diesem Land, das sich sonntags die Bedeutung von Bildung anhören muss – um montags die Schließung ihrer Heimstätten hinzunehmen?

Die Lessing-Hochschule, im Jahre 1900 gegründet, wurde schon einmal geschlossen. In der Nazizeit. Vor 35 Jahren, am 24. März 1965, erlebte sie ihre Wiedergeburt. Mit pathetischen Worten. Willy Brandt sprach beim Festakt davon, dass die Hochschule der Gefahr entging, sich von der Gesellschaft abzukapseln, „indem sie die Menschen aufschloss“.

Bedeutende Wissenschaftler, Publizisten und Kulturschaffende gehören zu den Lessing-Dozenten. Das Angebot ist im Niveau etwa anzusiedeln zwischen Universität und der populären Berliner Volksbildungseinrichtung „Urania“. Neben den traditionellen, den selbstverständlichen Angeboten unter anderem für Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie gibt es Exkursionen und seit mehreren Jahrzehnten auch öffentliche Symposien. „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ und die „Kunst der freien Rede“ sind ebenso Themen wie Nietzsche oder die Epikureer. Im Mai stehen drei Veranstaltungen zur „Erinnerung an Verfolgung und Widerstand im Nationalsozialismus“ auf dem Programm. Dazu eine Fahrt zur Frauen-KZ-Gedenkstätte Ravensbrück.

Kultur in Berlin und blindwütiges Sparen – das sind in letzter Zeit fast Synonyme. Bei Bildung und Wissenschaft ist die Krise noch ärger und ärgerlicher, weil die Folgen unbedachter Kürzungen nicht auszugleichen sind. Häufig sind sie nicht wieder gutzumachen. Ein geschlossener Uni-Fachbereich oder eine abgewickelte Hochschule lässt sich nicht einfach wieder eröffnen. In ihr steckt nämlich das, was selbst die Industrie als so wichtigen Faktor schätzt: Humankapital. Anders als Beton kann es nicht einfach neu gemischt werden.

Wie absurd die Schließung ist, zeigt ein Vergleich mit der U-Bahn. 100.000 Mark, jene Streichung also, die für Lessing die Existenz bedeutet, das kostet im Berliner Untergrund: ein Meter!

RAINER HÖYNCK

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