: Keine Separierung
Betr.: Ungeliebte Zwangsehe, taz hamburg vom 29.4.2000
Seit dem Alter von 3 1/2 Jahren bin ich „an Taubheit grenzend schwerhörig“. Von 1954 an habe ich die Schwerhörigenschule Hamburg besucht und diese 1964 mit dem Abschluss „Mittlere Reife“ verlassen. Ich konnte bereits vor dem Besuch dieser Schule gebärden und habe dies zusammen mit meinen Schulkameraden auf dem Pausenhof munter fortgesetzt. Diese Gebärdensprach-Beeinflussung hat mich später nicht daran gehindert, u.a. ein Fachhochschulstudium im Alleingang mit Erfolg durchzuziehen. Bereits damals habe ich es nie verstanden, wozu eine Trennung der Schwerhörigenschule und der Gehörlosenschule gut sein sollte. Ich empfand es stets als Verlust, dass ich meine Schulzeit nicht mit meinen „Gehörlosen“-Freunden verbringen konnte.
Die Separierung nach Hörschaden bei mittel- bis hochgradig Hörgeschädigten hat außerhalb der Schule ohnehin nie funktioniert. Sie war mit der damit verbundenen permanenten ideologischen Auseinandersetzung stets eine überflüssige Belastung von Schülern und Lehrern.
Einen Beweis dafür findet man beispielsweise in der Mitglieder-zusammensetzung der örtlichen Schwerhörigen- und Gehörlosen-Vereine. So ist die Zahl der ehemaligen „Schwerhörigen“-Schüler in den Gehörlosen-Vereinen größer als im „Hamburger Schwerhörigen-Bund“, und viele sind in beiden „Lagern“ Mitglied.
Ich hoffe zum Besten der jetzigen und kommenden Schülergenerationen, dass eine gemeinsame Schul- und Unterrichtsbasis gefunden wird, die statt einer eindimensionalen an Hörfähigkeit und Sprachtalent orientierten Sortierung einzelner Schüler ein flexibles Eingehen auf die vielfältig differenzierten Komplexe von Talenten und Schwachstellen aller Schüler ermöglicht. Wolfram Hell
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