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Finde sieben Unterschiede

Keine Chance für Minnie Mouse: Die Galerie HO in Kaulsdorf-Nord zeigt Frauencomics. Wichtiger als die lineare Erzählung sind verdichtete Stimmungsbilder, die Geschichten wachsen in die Tiefe, Text ist minimal

„Pack!“ ruft einer, blau wie Sonntagnachmittag. Später wird erzählt, dass eine der Comiczeichnerinnen, schwarz gekleidet, das Auto nicht verlassen hat und ruck,zuck zurück nach Hamburg gefahren ist. Die HO-Galerie in Kaulsdorf in der Cecilienstraße, kein romantischer alter Konsum. Hellersdorfer Originale. In einem grau-türkisen Einkaufszentrum. Innen immerhin großzügige Galerieräume. An der Wand springen einem die Figuren von Nadia Buddes neuem Kinderbuch an. Noch gelähmt von der Tristesse der Wohnsilos, möchte man in das rote Auto steigen und gleich eine große Runde über den Hochhäusern drehen.

LGX Lillian Mousli, eine der zwei Herausgeberinnen, wiegelt ab, mit Feminismus hat das nichts zu tun, auch wenn den Rahmen der Ausstellung der weibliche Chromosomensatz liefert. „XX“ – Comics von Frauen. Die gleichnamige Reihe des Jochen-Enterprise-Verlags wird ausgestellt. Druckfrisch zur Ausstellungseröffnung liegt die dritte Ausgabe vor. Je Heft ein Quotenmann – Sympathie entscheidet. Die Herausgeberinnen wollen Experimente, die Möglichkeit öffentlicher Resonanz, ohne den üblichen kommerziellen Standards in jedem Fall entsprechen zu müssen.

Frauencomics? Jetzt möchte man es genau wissen, der gewöhnliche Drang nach Kategorisierung will gestillt werden. Männliche Bildersprache versus weibliche Ausdrucksformen? Finde sieben Unterschiede. Plastisch, wie aus farbigem Schaumstoff geschnitten, wirken die Welten von Lillian Mousli. Amorphe Städte, die Häuser scheinen aus den Nähten zu platzen. In den Gebäuden findet das Leben statt, doch die Figuren stehen draußen, allein, in verlassenen Straßen ohne Schlupfwinkel. Es sind die Augen, die ohne Pupillen den Blick des Betrachters nicht erwidern.

Innenperspektiven, „Momente, in denen die Zeit stehen bleibt, Entscheidungen“ wie die Künstlerin sagt, „private Bilder“. Subjektivität ist fast allen Werken gemein. Im Gegensatz zu den Produkten ihrer männlichen Kollegen sind in der Ausstellung kaum Rückgriffe auf Massenkultur und Trivialmythen zu finden, mutieren weder Minnie Mouse noch Daisy.

Es entstehen individualistische Sprachen, die auf allgemeine Verständlichkeit verzichten. Außer der Welt sein – bei Eva Bernhard sind es die Räume ohne Verortung, Anke Feuchtenberger schafft Assoziationsketten, umgeben von einer Textur aus Schraffur, Linien, Punkten – Traumbilder.

Yvonne Kuschel hält den Augenblick fest, Momente wie Bilder aus einem Fotoalbum. Die Kommentare scheinen, ernüchtert von der Realität, Jahre später hinzugefügt: Ein Mann führt seine brave Braut am Arm, „dem Ruf der Wildnis folgend“. Nur bei Eveline scheint man in bekannte Gesichter zu blicken, riesengroße Augen. Sailor Moon? Kinder, die sich erwachsen gebärden, oder doch eher Schwellenerwachsene, die nicht groß werden wollen?

In vielen Werken verschwindet die lineare Narration, wichtiger sind verdichtete Stimmungsbilder. Das einzelne Panel dominiert die lineare Erzählweise, die Geschichten wachsen in die Tiefe der Bilder. Assoziativ werden Worte gesetzt, typografisch erhöht. Auf Text, der sich erst im Nacheinander erschließt, wird oft verzichtet.

Frauencomics? Eher finden sich auch in dieser Ausstellung die Tendenzen des Avantgardecomics der Neunzigerjahre, ein hybrides Wesen, das sich um den Unterschied zwischen Comic und museumstauglichen Bildern nicht schert. Comics nicht nur für den Sessel. (Eine Reise nach Kaulsdorf lohnt sich doch.)

REGINA VOSS

„Comics“. Galerie HO, Kaulsdorf Nord, Cecilienstrasse 222, bis 30. Juni, Di. bis Fr. 12 bis 18 Uhr, Sa. 10 bis 14 Uhr

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