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50.000 auf acht Rollen

Euphorisch surrte die größte Skater-Demo der Welt durch das Berliner Regierungsviertelvon KATHRIN CHOLOTTA

SkaterInnen scheinen nicht nur äußerst gute Überwinterungsstrategien zu besitzen, sie haben sich in der kalten Jahreszeit auch enorm vermehrt. 50.000 von ihnen sorgten am Mittwochabend mit der 1. Blade Night 2000 in Berlin für einen euphorischen Auftakt der rollenden Sommersaison. Bereits eine Stunde vor Beginn der größten Skater-Demo der Welt bewegten sich zahlreiche Fahrradfahrer mit Rollschuhen auf dem Gepäckträger in Richtung S-Bahnhof Tiergarten, zum Startpunkt der Blade Night. Auf den vollgestopften Parkplätzen der Straße des 17. Juni vom Brandenburger Tor bis weit hinter dem S-Bahnhof zwängten sich Profiskater, wackelige Anfänger, Sonntagsfahrer, Schwiegersöhne und Urenkel in ihre Schützer und die rollenden Untersätze.

Nur mit viel Mühe gelang es den 20 freiwilligen Ordnern in neongelben Westen, die ungeduldig pfeifende Menge hinter dem rotweißen Absperrband zu halten. Das Blaulicht der Polizei, die die Straßen für den Demozug abriegelte, spiegelte sich in erwartungsvollen Gesichtern. Jan-Philipp Sexauer, der die Blade Night vor zwei Jahren mit etwa 30 Skatern ins Leben rief, kam bis kurz vor 21 Uhr nicht dazu, seine Inlines anzuschnallen. „Ich hoffe, dass es bald Normalität sein wird, sich auf Rollschuhen durch die Stadt bewegen zu können“, sagte der 33jährige Anwalt in Anbetracht der Menge. Bisher gelten Skates als Sport- und Spielgeräte, die lediglich auf dem Bürgersteig benutzt werden dürfen. „Für die Zulassung und Gleichberechtigung von Skatern im Straßenverkehr“ hatte deshalb Sexauer die Blade Night im Mai 1998 erstmals als Demonstration angemeldet.

Endlich griff Sexauer, chic in schwarzem Jackett und weißem Hemd, zum Megaphon: „Willkommen zur 1. Blade Night 2000 in Berlin“. Wenige Sekunden später erfüllten Jubelrufe und das Surren unzähliger Rollen die Abendluft. Alle zwei Wochen soll von nun an auf der 13 Kilometer langen Strecke – vorbei an der Siegessäule, über den Potsdamer Platz, Unter den Linden entlang und durch das Brandenburger Tor zurück zum S-Bahnhof Tiergarten – geskatet werden.

Während die Profis schon längst im Kreisverkehr der Siegessäule verschwanden, warteten die Freizeitskater noch immer unter der S-Bahnbrücke auf ihren Start. „Langsam, langsam“ ertönten bittende Rufe aus den hinteren Reihen, „schließlich muss sich erstmal eingefahren werden“. Gleich am Anfang kam es zu zahlreichen Stürzen, bei denen sich gute Knie- und Handschützer auszahlten.

Vorbildlich mit Fahrradhelm bekleidet wagte sich auch die Fraktionsvorsitzende der Berliner Grünen, Renate Künast, erstmals auf die abendliche Rennstrecke. „Das ist ein ganz irres Gefühl auf den Rollen“, sagte Künast. Nachdem sie fleißig geübt hatte, sei auch der „Schrecken“ vor der Massenveranstaltung verloren gegangen.

Glücksschreie, Trillerpfeifen, Hupen wartender Autos und Anfeuerungsrufe zahlreicher Zuschauer gaben dem rollenden Event einen besonderen Kick. „Demonstration ist doch Quatsch“, rief Albert Erdig, der im öffentlichen Dienst tätig ist, „das macht einfach irre viel Spaß“. In Richtung Berlin-Moabit scherten immer wieder Skater, die am Straßenrand ausharrten, in den Korso ein. Sprünge wurden gewagt, Pirouetten gedreht und auch das kunstvolle Rückwärtsrollen konnte bestaunt werden.

Längst haben auch Firmen die Werbewirksamkeit der Blade Night erkannt. Und so rollte die Demo an hochgehaltenen Werbeschildern vorbei; neue Trendsportgeräte wurden hüpfend am Rand präsentiert. Für die „Teufelstrecke“, eine unbeleuchtete Straße nahe des Potsdamer Platzes, waren die Skater diesmal besonders gut gerüstet. Taschenlampen dienten zur Orientierung und auch das gruppendynamische Bremsen, das durch eine hochgehaltene Hand signalisiert wurde, funktionierte bestens.

Unter den Linden konnte dann wieder richtig zum Sprint angesetzt werden. Dabei hatte Mario Kleibyling Mühe, seinem neunjährigen Sohn Niclas zu folgen. Professionell gebückt glitt dieser zügig über den Asphalt. Seit einem Jahr praktiziert Niclas „Speedskating“ und wurde im Sommer letzten Jahres Berliner Meister seiner Altersklasse.

Während die Schnellsten gegen 21.45 Uhr am Roten Rathaus einen Zwischenstopp genossen, befanden sich die Letzten immer noch auf Höhe des Potsdamer Platzes. „Wir brauchen unbedingt mehr Ordner“, brüllte Cesur Akyüz, der die Demo schon seit Mai letzten Jahres begleitet, durch das Megaphon. Mehrere Freiwillige sprangen sofort auf. „Wir haben nicht mit so vielen Teilnehmern bei der ersten Blade Night gerechnet“, sagte Akyüz. Er sei noch an die 250 Skater gewohnt, die regelmäßig in die Treptower Arena kamen, in der die Blade Night überwinterte.

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