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„Nichts gesehen“

Was aus Appellen so wird: Das Echo auf den Aufruf von über 100 Parlamentariern gegen die summarische Abschiebepraxis blieb ziemlich spärlich

Berlin taz ■ Christian Schwarz-Schilling ist zufrieden. Über seinen Osterappell zur Flüchtlingspolitik sei doch in den Zeitungen viel geschrieben worden, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete. Eine optimistische Sicht: Denn viele der Angeschriebenen haben das vierseitige Fax nicht bemerkt.

In der niedersächsischen Staatskanzlei ist der Appell unbekannt. Und auch in Sachsen-Anhalt bekennt Regierungssprecher Frank Stänner, „nichts gesehen“ zu haben. Nach genauerer Suche stellt sich heraus: Das Fax verschwand „im österlichen Chaos.“

Vor einer Woche hatten sich über 100 Bundestagsabgeordnete unter der Federführung Schwarz-Schillings und der Grünen Claudia Roth mit einer Bitte an die Regierungschefs gewandt. Auch wenn die Innenministerkonferenz die „Rückführung“ der Flüchtlinge und illegalen Einwanderer beschlossen habe: Man solle, so der Appell, zumindest „Problemgruppen“ wie verfolgte Minderheiten, traumatisierte Menschen, Lagerinsassen oder gemischtethnische Ehepaare nicht wahllos ohne Einzelfallprüfung abschieben. Der Beschluss der Innenminister sei „meilenweit weg von der Realität“ in den ehemaligen Kriegsgebieten, klagte Schwarz-Schilling.

Doch die Ministerien zeigen sich kaum beeindruckt. In Berlin möchte man den Appell nicht kommentieren, weil er nicht direkt an die Bundesregierung gerichtet sei. Für das brandenburgische Innenministerium beschied Sprecher Heiko Homburg: „So ein Appell ist eine Sache, der Beschluss der Innenministerkonferenz aber eine ganz andere.“ Humanitäre Aspekte würden berücksichtigt, aber: „Wenn die jetzt nicht gehen, dann wird Druck ausgeübt.“

Im Innenministerium Nordrhein-Westfalens hat man wenigstens Verständnis für das Fax der Parlamentarier. „Für NRW ist es doch selbstverständlich, einen Großteil der Problemgruppen nicht abzuschieben“, erklärt Sprecherin Lydia Jendryschik. Trotz verhaltener Reaktionen vertraut Schwarz-Schilling auf die Kraft des Appells: Dass die Ministerpräsidenten der Länder „nicht sofort negativ reagiert“ hätten, stimme ihn „hoffnungsvoll“. Und weil die meisten Büros über Ostern und den 1. Mai nicht besetzt gewesen seien, sei der Appell jetzt eben nochmal verschickt worden. GUNNAR MERGNER

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