: Folter für die Spesenritter
Die „neue Mitte“ um den Gendarmenmarkt ist gastronomische Wüste: Mediokres Essen und dilettantischer Service treiben die Neuberliner zur Verzweiflung. Niveau haben nur die Preise
von RALPH BOLLMANN
Der Staatsminister für Kultur hat zum Pressegespräch geladen, doch dem Feuilletonchef einer großen Berliner Tageszeitung mundet der Milchkaffee nicht. Zu kalt, zu dünn, zu wenig Schaum. Was tut die Kellnerin? Statt den Kaffee zurückzunehmen, versucht sie dessen Qualitäten wortreich zu verteidigen. Ein Schauspiel, das die Aufmerksamkeit der Journalisten bald mehr beansprucht als Michael Naumann selbst, der unterdessen über die Berliner Kulturpolitik doziert.
Schauplatz des Spektakels: Das „Aigner“ am Gendarmenmarkt, ein typischer Vertreter jener neuen Spezies von Restaurants, die seit dem Regierungsumzug in der „neuen Mitte“ Berlins zum Frontalangriff auf die Spesenetats des Politik- und Medienbetriebs angesetzt haben. Etablissements, die sich vor allem durch wohlklingende Speisekarten wie üppige Rechnungen hervortun. Die Küche hingegen ist so bemüht wie medioker, der Service so beflissen wie dilettantisch. Der Gesamteindruck ist schnell beschrieben: gewollt und nicht gekonnt.
Niemand würde sich diesen Torturen unterziehen, wenn er die Zeche selbst bezahlen müsste – und vor allem: wenn es Alternativen gäbe. Doch das Gebiet zwischen Brandenburger Tor und Palast der Republik, zwischen der Touristenmeile Oranienburger Straße und dem hässlichsten Teil Kreuzbergs ist gastronomische Wüste. Parteien und Verbände, Minister und Beamte sind der Verzweiflung nahe: Vergebens suchen sie das passende Ambiente fürs zwanglose Gespräch. Keine Pizza-Connection, nirgends.
Als das kleinere Übel erscheint da vielen das „Borchardt“ in der Französischen Straße, gleich beim französischen Kaufhaus Lafayette. Das Restaurant hat die ganzen Neunziger durchgehalten, zeitweise auf allen Seiten von Baustellen umzingelt. Jetzt fährt es die Ernte dieser Mühen ein: Von allen Lokalitäten in der „neuen Mitte“ hat es als einzige wenigstens einen Hauch von Patina. Nicht weniger umsatzfördernd wirkt sich aus, dass in den Etagen darüber die Redaktion der Süddeutschen residiert. Die mediale Prominenz freut sich, dass sie auf ihresgleichen trifft – und sieht über die üblichen Mängel der hauptstädtischen Gastronomie gerne hinweg.
Schlimmer geht es im „Ganymed“ zu, dem Traditionslokal aus DDR-Zeiten gleich neben dem Berliner Ensemble. Dort müht sich der neue Betreiber, Claus Peymanns theatralischen Österreich-Import gastronomisch zu untermauern. Doch während Peymann seine Wiener Mannschaft gleich mitgebracht hat, wird der Gast im „Ganymed“ von berlinernden Kellnern empfangen, die den Vogerlsalat – österreichisch für Feldsalat – als „Voglersalat“ offerieren. Nicht recht erklärlich auch, warum neben dem mit steirischem Kürbiskernöl angerichteten Salat noch eine Flasche Olivenöl stehen muss. Der Gast hätte das Desaster schon beim Anblick der Speisekarte voraussehen können. Der Menüplan im Din-A-3-Format lässt sich auf den kleinen Tischen nur mit Mühe balancieren, und die optische Gestaltung des schnöden Computerausdrucks hält mit dem großformatigen Anspruch nicht Schritt.
Einziger Lichtblick in der kulinarischen Ödnis: Das „Vau“ in der Jägerstraße, einer kleinen Seitenstraße des Gendarmenmarkts. Rund 100 Mark kostet dort das günstigere der beiden Abendmenüs, kaum mehr also als ein mehrgängiges Essen bei all den Möchtegern-Gastronomen. Der entscheidende Unterschied: Das Essen bei Sternekoch Kolja Kleeberg ist nach dem übereinstimmenden Urteil aller gastronomischen Beobachter seinen Preis auch wert. Den Michelin-Kritikern war Kleebergs Küche schon im Eröffnungsjahr einen Stern wert – den einzigen, den sie bis heute im früheren Ostteil der Stadt vergeben haben. Beim jüngsten Testessen waren sie vor allem vom „lauwarm marinierten Hummer mit Bohnen und Pfifferlingen“ angetan, vom „Kartoffelschmarrn mit Kaviar“ und vom „Allerlei von der Bressetaube mit Gänseleber“.
Aber für die üblichen Geschäftsessen wäre Kleebergs Küche ohnehin viel zu schade. Da dürfen dann wieder Restaurants wie das „Aigner“ absahnen, wo sich die Kellnerinnen nicht einmal merken können, wer welches Getränk bestellt hat – und dann ratlos mit den Kaffeetassen von Gast zu Gast irren. Wer am Mineralwasser auch nur nippt, dem wird vom übereifrigen Personal im Minutenrhythmus nachgeschüttet. Es spricht für die Talente des Staatsministers Naumann, dass er diese Plage schnell im Griff hatte: Nur selten rührte er sein Glas an, nahm dann aber gleich einen tiefen Schluck. So wurde er nur selten von der beflissenen Kellnerin gestört.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen