piwik no script img

IRA: Unbewaffnet in den Frieden

Mit ihrer Bereitschaft zur baldigen Abrüstung lässt die „Irisch-Republikanische Armee“ (IRA) den Friedensprozess auf der Insel wieder aufleben

Aus DublinRALF SOTSCHECK

Damit hatte niemand mehr gerechnet: Die Irisch-Republikanische Armee (IRA) will ihre Waffen abgeben. In einer Erklärung, die weit über die Erwartungen von Anhängern und Gegnern der IRA hinausgeht, hieß es am Samstag: „Die IRA-Führung wird einen Prozess beginnen, der die Waffen vollständig und nachprüfbar außer Gebrauch setzt.“

Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wird die Organisation die Kontrolle über ihre Waffenlager abgeben. Eine unabhängige Kommission soll bereits in den nächsten Wochen die Waffenlager inspizieren. Sie wird vom früheren finnischen Premierminister Maarti Ahtisaari und dem ehemaligen Generalsekretär des südafrikanischen ANC, Cyril Ramaphosa, geleitet, so gaben die Regierungen in London und Dublin bekannt. Die Kommission soll die IRA-Waffenlager danach regelmäßig untersuchen, um zu gewährleisten, dass die Waffen schweigen, sagte die IRA.

Die Frist zur Abrüstung wird um ein Jahr verlängert

Die IRA-Erklärung ist die Antwort auf ein Angebot der Regierungen in London und Dublin, das nach direkten Verhandlungen des irischen Premierministers Bertie Ahern mit der IRA und einer 30-stündigen Marathonsitzung der beteiligten Parteien am Freitagabend auf dem Tisch lag: Die Frist für die Abrüstung, die am 22. Mai, dem zweiten Jahrestag des Referendums über das britisch-irische Abkommen, abgelaufen wäre, wird um ein Jahr verlängert. Bis dahin sollen die noch offenen Vertragspunkte des Abkommens umgesetzt werden, vor allem die Reform der Strafjustiz und der zu mehr als 90 Prozent protestantischen Polizei.

Die nordirische Regionalregierung wird bereits heute in zwei Wochen wieder eingesetzt. Sie war im Februar nach nur drei Monaten Amtszeit suspendiert worden, weil die Unionisten die IRA-Abrüstung zur Bedingung dafür gemacht hatte, dass deren politischer Flügel Sinn Féin in der Regierung bleiben dürfte. Das hatte die IRA glatt abgelehnt.

Euphorie wie nach dem Karfreitagsabkommen 1998

Umso überraschender nun das Einlenken der IRA, das dem Friedensprozess, den viele bereits als gescheitert abgehakt hatten, neuen Auftrieb gibt. Die Reaktionen auf die IRA-Erklärung sind ähnlich euphorisch wie am Karfreitag 1998, als das Friedensabkommen nach acht Jahren zum Großteil geheimer Verhandlungen unterzeichnet wurde. Damals erweckten die beiden Regierungen den Eindruck, dass sie den Konflikt über Nacht gelöst hatten und die Krisenprovinz fortan von einer Allparteienregierung einvernehmlich verwaltet würde.

Doch der Teufel steckte im Detail: Viele Punkte hatte man ausgeklammert oder so vage formuliert, dass beide Seiten sie als Erfolg verkaufen konnten. Je näher die im Abkommen festgelegten Fristen rückten und schließlich verstrichen, desto unüberbrückbarer schienen die Meinungsverschiedenheiten. Vor allem an der Waffenfrage schieden sich die Geister: Während im Abkommen nur die Rede war von einer allgemeinen Verpflichtung für die Regierungsparteien, die paramilitärischen Organisationen nach Möglichkeit zur Waffenabgabe zu bewegen, machten die Unionisten, die für die Union mit Großbritannien eintreten, die IRA-Abrüstung zur Bedingung für die Regierungsbeteiligung ihres politischen Flügels Sinn Féin.

Vorigen Herbst kam noch einmal großer Optimismus auf, als die Unionisten zustimmten, Sinn Féin ohne vorherige IRA-Abrüstung ins Kabinett aufzunehmen. Wieder war von einem Durchbruch die Rede, doch wieder hatte man den Streitpunkt lediglich vertagt, wie sich im Februar herausstellte, als Unionistenchef David Trimble mit seinem Rücktritt als nordirischer Premierminister drohte und die britische Regierung im Alleingang geschwind die Regierung suspendierte – gegen den Willen der Dubliner Regierung und unter Verletzung des Abkommens von 1998.

Diesmal scheint vorsichtiger Optimismus angebracht. David Ervine von der Progressive Unionist Party, die eine paramilitärische protestantische Organisation vertritt, sagte: „Wir halten eine Chance in unseren Händen, die wir nicht verpassen dürfen.“ John Hume, Chef der katholischen Sozialdemokraten und gemeinsam mit Trimble Friedensnobelpreisträger, sprach von einer „überaus positiven Entwicklung, die beweist, dass die Waffen für immer aus der irischen Politik verbannt“ seien. Der britische Nordirlandminsiter Peter Mandelson sagte: „Die IRA-Erklärung ist ausgesprochen bedeutsam und eröffnet die Möglichkeit, die Regierungsinstitutionen auf einer festeren Basis als bisher wieder zu beleben.“

Dazu benötigt man aber die Zustimmung von David Trimble und seiner Unionistischen Partei. Ob ihnen die IRA-Erklärung ausreicht, um Sinn Féin wieder an den Kabinettstisch zu lassen, ist keineswegs sicher. Trimble, der im Falle der erneuten Regierungsbildung wieder nordirischer Premierminister wird, sagte am Wochenende, die IRA-Erklärung scheine neue Wege zu eröffnen. Sie enthalte einige positive Aspekte, aber es blieben noch Fragen offen. Trimble deutete an, dass er ziemlich bald auf die IRA-Erklärung reagieren werde, das letzte Wort habe jedoch sein Parteirat. Dessen 860 Mitglieder hatten im Februar gedroht, Trimbles Rücktritt zu erwirken, weil er die Absichten der IRA in Hinblick auf die Waffenabgabe falsch eingeschätzt hatte. Um Trimbles Haut zu retten, löste London die Regionalregierung auf und übernahm wieder die Direktherrschaft. Auf protestantischer Seite wird Trimble jetzt erneut auch von der Democratic Unionist Party des reaktionären Pfarrers Ian Paisley angegriffen. „Trimble gibt wieder einmal nach und tut, was ihn wieder an die Macht bringt“, sagte Paisley.

Immerhin muss die IRA noch die Basis überzeugen

Auch für IRA und Sinn Féin wird es schwierig sein, die Basis von der neuen Taktik zu überzeugen. Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams sagte am Samstag: „Der Friedensprozess ist ein Kampf zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Es liegt an uns, daraus einen Sieg für die Gerechtigkeit, für die Gleichberechtigung, für die Demokratie und für die Menschen in Irland zu machen. Unsere Anhänger sollten die IRA-Erklärung in Ruhe abwägen und irgendwelche Interpretationen, die manche vielleicht hineinlesen wollen, ignorieren.“

Damit spielte er auf eine mögliche Spaltung der beiden Organisationen an, denn die IRA-Erklärung hat vor allem in den Grenzregionen, wo die IRA am stärksten ist, Konsternierung ausgelöst. Vorausgegangen war den Ereignissen vom Wochenende offenbar ein Machtkampf zwischen Sinn-Féin-Politikern, von denen wahrscheinlich drei im IRA-Armeerat sitzen, sowie dem IRA- Stabschef Brian Keenan, der die Abrüstung kategorisch ablehnt.

Der entscheidende Punkt für die IRA-Führung war wohl die britische Zusage, gleichzeitig ihre Truppenpräsenz in Nordirland abzubauen und die festungsähnlichen Kasernen und Stützpunkte zu demontieren. Ob es die Mehrheit der IRA-Mitglieder auch so sieht, wird sich bald zeigen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen