: Kommunikation zu verkaufen
Hamburgs größter Medien-Kongress wurde gestern eröffnet. Ziel: Die „möglichst größte Wertschöpfung zu erreichen“ ■ Von Peter Ahrens
Früher waren Medienkongresse wahrhaft verschnarchte Veranstaltungen. In Ehren ergraute Redakteure auf dem Podium nuschelten etwas von Medienkritik, dass die Presse auch eine gesellschaftliche Verantwortung habe und dass das Fernsehen nicht alles dürfen dürfe. Heute ist das anders: Beim gestern eröffneten zweitägigen Hamburger Dialog, dem größten Medienkongress der Stadt, sitzen Werber neben Journalisten, Online-Fachleute neben Marketingstrategen. Und Wirtschaftssenator Thomas Mirow (SPD) gibt die Richtung vor: „Es kommt darauf an, die größtmögliche Wertschöpfung zu erreichen.“ Der Medienkongress als Verkaufsschau.
Im Foyer präsentieren sich nicht Die Zeit oder die taz, sondern AOL und T-Online. Die Zeitschriften, die auf dem Lesetisch für die gut 1000 KongressteilnehmerInnen ausliegen, heißen Geld Idee, Werben und Verkaufen und Media und Marketing. Man kann auch die Fi-nancial Times Deutschland lesen. In seiner Eröffnungsansprache weist Martin Willich, Vizepräsident der Handelskammer, darauf hin, dass der Kongress „wichtige Probleme der Gegenwart anspricht. Zum Beispiel, wie man neue Werbeprodukte unter heutigen Bedingungen auf den Markt plaziert“.
Der Hamburger Dialog hat sich in diesem Jahr den Titel gegeben: Effizienz der Kommunikation – Neue Vielfalt. Er hätte auch heißen können: Neue Beliebigkeit. Hörfunk, Marketing, PR, Design, Multimedia, Print – ganz egal. Ob Informieren oder Verkaufen: Die Grenzen sind längst aufgelöst. Mirow nennt das „notwendige Grenzüberschreitung, um die anwendende Wirtschaft an die Medien heranzuführen“. Aussterbende Exemplare wie den ewigen Medienkritiker der Süddeutschen Zeitung, Herbert Riehl-Heyse, hat man noch eingeladen. Einen Raum weiter verrät Stefan Rebbe von der Hamburger Werbeagentur Kolle Rebbe Beispiele für „clevere Nutzung aller Werbemittel und -wege“. Der On-line-Versteigerer Ricardo.de verspricht Tipps, „die Kosten durch Handel im Internet zu senken“. Mirow redet vom „gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Umbruch“, AOL verteilt derweil Gummibärchen an die Presse.
35 Diskussionsforen, Vorträge, Workshops: Während Welt-Chefredakteur Matthias Döpfner mit seinem Preis für das Erscheinungsbild seines umstrukturierten Blattes posiert, freut sich RTL2-Geschäftsführer Josef Andorfer da-rüber, dass „wir mit Big Brother mehr einnehmen als mit jedem anderen Programm“. Und Moderator Hubertus Meyer-Burckhardt eröffnet die Diskussion über den bekanntesten deutschen Wohncontainer mit dem Appell: „Ich wünsche uns jetzt viel Vergnügen und hoffentlich keine moralisch-ethische Debatte.“ Außerdem sagt er noch auf die Frage, ob Big Brother eine Bereicherung fürs deutsche Fernsehen sei: „Alles, was gelingt, Unternehmen zum Investieren zu bewegen, ist eine Bereicherung.“
Am gestrigen Abend feierten alle KongressteilnehmerInnen eine große Medienparty – in den Räumen der Handelskammer.
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