: Schluss mit dem Engagement!
Weniger Osteuropa, mehr Debüts, mehr Berlin: Siv Bublitz, die neue Leiterin von Rowohlt Berlin, will ein Verlagsprogramm machen, das der Hamburger Konzernmutter endlich keine Verluste mehr einbringt
BERLIN taz ■ Siv Bublitz glaubt an Berlin – und an die Literatur: „Es gibt eine Parallele zwischen der Identitätsfindung der Stadt und einer literarischen Identitätsfindung der Autoren, die nach Berlin kommen“, sagt sie. Was sonst: Die 39-jährige Hamburgerin ist seit gut drei Wochen Leiterin eines Verlags, der mit Nachnamen Berlin heißt – und in einer Krise steckt: Rowohlt Berlin. In ihrem Büro am Hackeschen Markt steht ein großes Bücherregal: rechts das gesamte Programm des Verlages – an die 300 Titel hat Rowohlt Berlin seit seiner Gründung im Jahr 1990 verlegt –, links einige Wörterbücher. Und ein einzelner, weinrot eingebundener Ratgeber zum Thema Erfolgreich-Werden: „Power. Die 48 Gesetze der Macht“.
Tipps in Sachen Powerbusiness kann Siv Bublitz gebrauchen. Rowohlt Berlin steckt tief in den roten Zahlen. Dabei hatte alles so schön angefangen: Als der Verlag 1990 als Tochter des Hamburger Hauses gegründet wurde, kümmerte sich Rowohlt Berlin vor allem um osteuropäische Literatur. Es erschienen – neben Sachbüchern zur jüngeren deutschen Geschichte – Bücher der Ungarn Pétér Nádas und Imre Kertész und vom Serben Bora Cosić. Den Feuilletons gefiel das: Osteuropa! Engagement!
Nur der wirtschaftliche Erfolg blieb aus. Osteuropäische Literatur trifft nicht den Massengeschmack – das musste in den letzten Jahren auch ein Verlag wie Volk & Welt merken. So kam es bei Rowohlt Berlin in den letzten Jahren zu recht hilflosen Korrekturen am Programm. Die Bilanzen besserte das nicht. Als im vergangenen Jahr Peter Wilfert in die Geschäftsführung des Rowohlt Verlages eintrat, kam es zum Knall: Die Mitarbeiter von Rowohlt Berlin erfuhren aus einem Branchenmagazin, dass das Belletristik-Programm ihres Verlages auf vier Titel reduziert, das Sachbuch-Programm dagegen verdreifacht werden sollte – sie selbst hatten in dieser Sache von der Hamburger Geschäftsführung nichts gehört. Ingke Brodersen, die Rowohlt Berlin seit seiner Gründung geleitet hatte, und die Geschäftsführung trennten sich „einvernehmlich“, zwei der drei Berliner Lektoren kündigten.
Siv Bulbitz, die vorher den Verlag Wunderlich – die Rowohlt-Unterhaltungstochter – geleitet hatte, will einiges ändern: gezielter Schwerpunkte setzen, mehr Berlin, mehr Debüts. Aber sie muss sich erst einmal mit den Folgen des Knalls beschäftigen. Zum Beispiel erklären, dass weiterhin 20 Titel pro Jahr erscheinen sollen und dass die Belletristik nicht zurückgefahren wird. Oder die Meldung kommentieren, dass Pétér Nádas und Imre Kertész den Verlag verlassen wollen: „Ich habe bisher von keinem Autor gehört, dass er den Verlag wechseln möchte.“
Trotzdem. Man hört deutlich heraus, dass es in Zukunft weniger Osteuropa bei der Rowohlt-Tochter geben wird. „Ich möche versuchen, viel über den Schauplatz Berlin zu machen“, sagt Siv Bublitz und ergänzt: „Das muss nicht unbedingt heißen, dass die Autoren aus Berlin kommen oder die Romane hier spielen müssen.“ Berlinromane ohne Berlin? Hauptsache, dass Etikett stimmt, wie bei „Eichborn.Berlin“ oder „Ullstein Berlin“. Schließlich will man Bücher verkaufen. Stichwort Powerbusiness. Und das ist keine Frage des Glaubens, sondern der verlegerischen Eigenständigkeit: „Wenn wir es hier schaffen, ein Programm zu gestalten, das keine Verluste macht, wären sicherlich in Hamburg alle sehr glücklich – und würden nicht groß fragen, was wir hier für Bücher machen.“ Anders gesagt: Der Erfolgsdruck ist groß. Die Zeiten, in denen ein Verlag einfach nur mit Nachnamen Berlin und mit zweitem Vornamen Engagement heißen durfte, sind vorbei.
KOLJA MENSING
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