piwik no script img

Krieg am Ende der Libido

Der Text ist ein rohes Monstrum, doch Frank-Patrick Steckel glückte „Edward III.“ beim Theatertreffen

Angesichts der kettensägenbewaffneten Regisseure, die ohne Erbarmen, sobald es um Shakespeare geht, Text, Ensemble und Publikum niedermetzeln, macht sich Frank-Patrick Steckels Inszenierung von „Edward III.“ wie ein strenges Exerzitium aus. Die Bühne der vom Schauspiel Köln zum Theatertreffen geladenen Produktion zeigt zwei hintereinander geordnete, je einen Meter hohe Mauern, aus denen sich je nach Bedarf Sitzgelegenheiten (z. B. Throne) herausklappen lassen, von geradezu japanische Kargheit. Statt Schlachtgetümmels, allgemeinen Hauens und Stechens wird ab und an das überlange Schwert geführt. Keine Lautsprecherdurchsagen, zusammengeschlagene Hacken, SS-Enbleme, eingeblendete Videos zeitgenössischer Massaker, sondern nur der durchgearbeitete Text. Das allerdings drei Stunden lang.

Wer immer auch „Edward III.“ verfasst hat, er oder sie feierte die englischen Waffen auf geradezu frenetische Weise. Die Überlegenheit englischer Kriegskunst, Charakterstärke und zivilisierten Umgangs auch mit dem Feind tritt glorreich zutage gegenüber Tücke & Hochmut der Franzmänner einerseits, Habsucht & Wildheit der Schotten andererseits. Letztgenannte brabbeln bei Steckel – ein ingeniöser Regieeinfall – ihren Text in einer Art Platt, während Erstere zwar im höfischen Stil mit den Engländern gleichauf sind, aber einen unverschämt herausfordernden Tonfall an den Tag legen, der auch prompt vor dem Fall kommt.

Steckel hat in Jochen Tovote einen Schauspieler gefunden, der das königliche Pathos im zweiten, kriegslüsternen Teil des Dramas schneidend scharf, mörderisch-aggressiv, demagogisch konturiert, so dass man tatsächlich fühlt, einen Potentaten des blutigen 20. Jahrhunderts vor sich zu haben. Der Schwarze Prinz hingegen, einer der großen mythischen Heldenfiguren der englischen Geschichte, erscheint in der Interpretation Thomas Bischofbergers als dünnes Hemd, dessen Kühnheit sich ununterbrochener heroischer Autosuggestion verdankt.

All diese geschickten Unterminierungsversuche Steckels können das Drama indes nicht zum Leben erwecken. Es ist ein ungeschlachtes Monstrum, noch dazu aus zwei Hälften montiert, die in gar keiner Weise zusammenpassen wollen. Der erste Teil enthält die Geschichte des liebeskranken Edward, der königlichen Auftrag und Würde vergisst, um in den Besitz jener schönen Gräfin Salisbury zu gelangen. Als die Gräfin droht, sich angesichts des königlichen Verlangens zu entleiben, bricht die Libido jäh ab, und Edward schifft sich nach Frankreich ein. Im zweiten, dem kriegerischen Unternehmungen gewidmeten Teil ist jede Erinnerung an die Love-Story getilgt, so als ob sie nie stattgefunden hätte. Mars triumphiert, um es elisabethanisch auszudrücken.

Nach Meinung Giorgio Melchioris, des großen Shakespeare-Kenners, gehört jener zweite Akt der Liebenden gänzlich Shakespeare an. Und auch der philologisch ungeübte Fan des Meisters fühlt, dass es sich so verhält. Shakespearian wit erleuchtet die Szene, er funkelt auch in Steckels kongenialer Übersetzung, zum Beispiel dort, wo der König seinen staubtrockenen Sekretär vergeblich zur Abfassung eines Liebesbriefs an die Dame nötigt. Die Klage der widerstrebenden Gräfin klingt wie ein Wiederhall aus den wunderbaren Sonetten.

Auch im Kriegsunternehmen der letzten drei Akte blitzt ab und zu Sprachgewalt auf. Der von einer französischen Übermacht umzingelte Schwarze Prinz ruft, im englischen Original, folgendermaßen die Nacht an: „Leaving no hope to us but sullen dark and eyeless terror of all-ending night“. Aber diese Blitze gehen in der bombastischen, nicht enden wollenden nationalistischen Suada unter. Ansonsten bildet – mit den Händen zu greifen – Edwards Invasion von Frankreich den dramatischen Vorläufer von „Henry V.“. Hier wie dort wird aus den gleichen historischen Quellen geschöpft, wird die gleiche, überaus gewalttätige Geschichte erzählt. Wer allerdings den Abgrund zwischen beiden Werken ermessen will, dem sei die Lektüre beider Stücke empfohlen.

Aber wen außer der Fan-Community kratzt es eigentlich, ob das Drama einem (damals durchaus üblichen) Teamwork unter Federführung Shakespeares und der freundschaftlichen Oberleitung Christopher Marlowes entsprang oder ob eine der vielen anderen Londoner Theatergruppen die Sache in die Hand genommen hat? Die elisabethanische Welt, der Kosmos von Macht, Ideologie und Gewalt ist uns, auch nach dem kurzen 20. Jahrhundert, immer noch bedrohlich nah. Allein dieser Umstand rechtfertigt Steckels zwar vergebliches, dennoch aber geglücktes Unternehmen.

CHRISTIAN SEMLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen