: Was faul ist in Dänemark
Die einen schauen in die Welt, die anderen zu den Sternen: Die dänischen JungautorInnen Jan Sonnergaard, Jeppe Brixvold und Henriette Houth lasen in der Literaturwerkstatt
von JAN BRANDT
In der Literaturwerkstatt in Pankow ist die Heizung ausgefallen. Der Hausmeister wurde entlassen, und die Putzfrau ist in Pension gegangen. Seit Januar wird keine Miete mehr bezahlt, und Thomas Wohlfahrt und Co. sind zu Hausbesetzern geworden, bis der Senat eine Lösung gefunden hat. Das Hoheitsrecht des Landes Berlin ist erloschen, und der Besitzer, die Jewish Claim Conference, sucht einen neuen Käufer.
Das sind die schlechten Nachrichten. Die gute Nachricht ist: Die Literaturwerkstatt macht weiter, als ob nichts gewesen wäre. Beim „Kleinen Literaturfestival: Dänemark“ ging es zwei Tage um Kierkegaard, und zwei Tage waren „Neue Stimmen aus Dänemark“ zu hören. Wie gut, dass Jan Sonnergaard da gleich seinen Heizkörper mitbrachte. Sein Erzählungsband „Radiator“ heizte der dänischen Literaturszene nämlich mächtig ein. Innerhalb eines Jahres wurden acht Auflagen gedruckt, und seit dem Erscheinen 1997 etwa 40.000 Exemplare verkauft. Jetzt liegt das Buch im Verlag Achilla Presse Hamburg auch auf Deutsch vor.
Leicht gedrungen saß der 37-jährige Sonnergaard im rotweißen Hawaiihemd vor seinem Buch und nuschelte so stark, dass man nicht wusste, ob es sich nun um Deutsch oder Dänisch handelte. Sein Übersetzer Peter Urban-Halle las dann die ganze Geschichte „Polterabend“, in der ein Junggesellenabschied gefeiert wird und der zukünftige Bräutigam daliegt „wie ein für Kindersex präparierter Säugling“. Eine andere Geschichte handelt vom Besuch eines Gerichtsvollziehers, der eine Wohnung überprüft, die Gegenstände schätzt und verspricht, bald wiederzukommen.
Sonnergaards Sprache ist ruhig, beiläufig, irgendwie unbeteiligt. Er erzählt, als sei alles in Ordnung. Aber wie heißt’s noch bei Hamlet? „Da ist was faul im Staate Dänemark.“ Sonnergaard erklärt den Erfolg seines Buchs so: „Vielleicht hat man etwas vermisst. Bislang war die dänische Literatur höflich und unpolitisch.“
Das hat sich in den Achtzigerjahren verändert. Sonnergaard thematisiert gesellschaftliche Missstände und schreibt über dynamische junge Menschen, die auf der Stelle treten und über das Elend der Kopenhagener Vorstädte nicht hinauskommen. Seine Geschichten und Artikel haben in Dänemark auch die rechtskonservative „Dansk Folkeparti“ auf den Plan gerufen, die den Autor verklagt, weil er sie als Landesverräter bezeichnet hat.
„Wir können immer lesen, dass alles so perfekt ist“, sagt Sonnergaard in fließendem Deutsch, „aber das stimmt ja nicht.“ Dass etwas nicht stimmt, haben inzwischen auch höchste Kreise erkannt. Eine Anthologie dänischer Lyrik, die im vergangenen Jahr anlässlich der Eröffnung der Königlich Dänischen Botschaft in Berlin erschien, trägt den Titel „Idylle, katastrophal“.
So wenig homogen die junge Autorengeneration auch sein mag, die seit etwa 15 Jahren in Dänemark aktiv ist, ihre Erzeugnisse handeln von Verlust, Angst und Mangel. Bei dem 32-jährigen Jeppe Brixvold, der vor zehn Jahren gleich zwei Romane veröffentlichte, und der fast gleichaltrigen Lyrikerin Henriette Houth spiegelt sich das Unbehagen im Privaten. Bei Houth geht es um Mauern und Gehsteige, die nicht so liegen, wie sie sollen. Überhaupt ist einiges verkehrt in ihrer Welt, es gibt „Orte, die es nicht schaffen, zu Orten zu werden“, und Menschen, die mit den Jahren immer jünger werden. Was düster und melancholisch beginnt, bekommt meist eine hoffnungsvolle Wendung. „Schwarz gestimmt und glücklos muss man gehen, mit der Sonne in den Augen.“ Jeppe Brixvold beschreibt in einem sehr metaphorischen und ästhetisierten Stil Gefühle der Leere und Müdigkeit, die Angst vor Stillstand und Tod.
Eine Kritikerin schrieb einmal, es gebe zwei Arten von dänischen Autoren: Die einen seien der Welt zugewandt, die anderen schauten zu den Sternen. So fühlen sich die Autoren zwar als Teil einer Generation, wie sie in der anschließenden Diskussion bekannten, nicht aber als eine homogene Gruppe.
Ihre Biografien unterscheiden sich auch fundamental voneinander. Brixvold besuchte eine Schriftstellerschule, an der er heute lehrt, Houth studierte Architektur, und Sonnergaard war nach dem Philosophiestudium vier Jahre arbeitslos und „musste sich die Zeit irgendwie vertreiben“. Also schrieb er ein Buch mit einem Titel, mit dem die Dänen so ihre Schwierigkeiten haben.
Eine Dänin aus dem Publikum erinnerte sich, wie schwer es für sie als Kind war, „Radiator“ zu buchstabieren. Und der dänische Lyriker Niels Frank sagte einmal, es sei unmöglich, das Wort „Radiator“ in einem Gedicht zu verwenden. Jan Sonnergaard wollte das Unmögliche möglich machen. Die Heizung in der Literaturwerkstatt konnte aber auch er nicht reparieren.
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