: Essen – Dakar
King Kong stirbt in Afrika: Susanne Linke und Ismael Ivo zeigten neue Choreografien im Hebbel Theater
Misst man unser Interesse für Afrika am Fernsehprogramm, dann scheint die Tierwelt als eindeutiger Favorit vor der menschlichen Gesellschaft. Aus dieser exotischen Perspektive, die in Afrika das Natürliche sucht, ist eine lange Szene in Susanne Linkes Choreografie „le coq est mort“ entstanden: Die acht Tänzer werden zur unruhig auf und ab jagenden Herde und zur krummbeinigen Affenbande, bevor sie wie King Kong im Kugelhagel niedergehen.
Darf das eine weiße und deutsche Choreografin auf die Bühne bringen, fragt man sich unsicher? Die Sache wäre einfacher zu entscheiden, würde es sich bloß um ein Klischee und seine Parodie handeln. Doch dafür tanzen die Männer aus Senegal, Nigeria und Kongo Vögel, rennende Tiere, Primaten und weitere Verwandlungen mit zu viel hinreißender Kraft und Anmut, als wären sie ihnen magisch verschwistert.
Diese letzte Verwandlung ist nicht ihre einzige. Am Anfang verlangen sie als Business-Men Respekt, die mit breitschultrigem Gang und schlenkernden Aktenkoffer mit jedem Schritt verraten, dass mit ihnen nicht zu spaßen ist. Aus Händeschütteln, Kofferübergabe und wechselnden Bündnissen erfinden sie neue Rituale einer Männergesellschaft, die dort anknüpfen, wo Linkes Stück „Ruhr Ort“ vor zehn Jahren aufhörte. Da ging es um Männer, die mit der Schwerstarbeit ihr Selbstbild und jede Rangordnung verloren hatten.
„Le coq erst mort“ entstand auf Sand und unter heißer Sonne. Südlich von Dakar hat Germaine Acogny, die sich seit vielen Jahren um Anerkennung und Ausbildung afrikanischer Tänzer bemüht, ein neues Zentrum gegründet, das noch nicht über eigene Gebäude verfügt. 1998 lud sie Susanne Linke und Avi Kaiser als Lehrer ein, die die Idee für ein Männerstück entwickelten.
Der französische Komponist Etienne Schwarcz hat zu „le coq est mort“ aus Freejazz, afrikanischer Percussion und Kompositionen von Dimitri Schostakowitsch einen dreigleisigen Klangraum gebaut. Man ist nie nur an einem Ort – das Erleben hier wird durch Erfahrungen von dort gebrochen. Das nimmt dem Stück die Last, das Authentische und das Entfremdete naiv gegeneinander zu stellen.
Die Produktion, die vom Goethe-Institut Dakar, dem choreografischen Zentrum Essen und dem Pariser Théatre de la Ville unterstützt wurde, tourt jetzt auch als Botschafter für Acognys Tanzzentrum. Im Programm von Heimat Kunst versöhnte sie mit dem peinlich schlechten Tanztheater am Abend zuvor, als Marcia Haydée und Ismael Ivo „Tristan und Isolde“ sein wollten. Das war bloß traurig zu sehen, wie eine einstige Primaballerina, die für das Ballett die Kraft und die Form nicht mehr hat, sich auf die große, theatralische Geste verlegen will und es nicht schafft.
KATRIN BETTINA MÜLLER
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