Des Führers Gunstbeweise

Die NS-Elite kämpfte nicht nur um den Sieg für ihren Führer – sondern auch um die Befriedigung der eigenen Habgier. Ein neues Buch über Hitlers Geschenke dokumentiert dieses vergessene Kapitel des Dritten Reichs
von ASTRID VON PUFENDORF

April 1945. Deutschland liegt in Schutt und Asche. 17. April 1945, kurz vor Hitlers Selbstmord, schreibt der Reichskanzleichef Hans Heinrich Lammers an Ferdinand Schoerner, dass er anlässlich seiner Beförderung zum Generalfeldmarschall eine monatliche „Aufwandsentschädigung“ von 4.000 Reichsmark (RM) erhält, steuerfrei und vertraulich. Schoerner befindet sich in guter Gesellschaft, die Auszahlungsliste für April 1945 reicht von Reichsminister Konstantin Freiherr von Neurath (8.000 RM) über Hermann Göring (20.000 RM) bis herunter zu einem Major Borgmann (400 RM).

Als Leser sitzt man fassungslos vor den von Gerd Ueberschär und Winfried Vogel sorgfältig zusammengetragenen Fakten über „Hitlers Geschenke an seine Eliten“, wie der Untertitel der wissenschaftlichen Studie „Dienen und Verdienen“ lautet. Dabei fängt das Buch so harmlos an. Man liest über die Dotation stattlicher Ländereien an Prinz Eugen als Dank Kaiser Leopolds I. für den Sieg über die Türken oder über Goethes Haus am Frauenplan, das er samt notwendigen Umbauten von seinem Herzog als Ausdruck von Verehrung und Dank im Jahre 1793 geschenkt bekam. Man hat sogar noch Verständnis, dass im kargen Preußen Dotationen durchaus üblich waren und allgemein akzeptiert wurden, wie zum Beispiel der große Landbesitz und der Fürstentitel für Otto von Bismarck: „Die Großzügigkeit im Schenken ehrte den Herrscher und vergrößerte den Respekt und die Zuneigung seines Volkes.“ Solches lesend, fragt man sich: Was kann an den Dotationen Hitlers so schlimm gewesen sein? Damit haben die Autoren einen Spannungsbogen in ihre Untersuchung zu bringen, denn es ist nicht so einfach, die vielen Beispiele systematisch zu bündeln.

Die Studie ist zunächst historisch aufgebaut und befasst sich dann in einem zweiten Teil mit besonderen Formen und Fällen von Dotationen. Es folgt ein ausführlicher Dokumententeil und eine genaues Quellen- und Literaturverzeichnis. Die Autoren haben sich bewusst darauf beschränkt, nur jene Fakten wiederzugeben, die zweifelsfrei durch Akten belegt werden können. Memoiren sind höchstens als Bestätigung der Aktenbefunde herangezogen worden. Es handelt sich hauptsächlich um Akten des Bundesarchivs in Berlin und Koblenz, des Militärarchivs in Freiburg und des Instituts für Zeitgeschichte in München.

Wie akkurat die Autoren arbeiten, zeigt sich auch daran, dass sie das Thema historisch einordnen (was die Kriminalität dieser Pfründen hervorhebt), dass sie Klischees hinterfragen und Vergleiche zu den jeweiligen Lebensbedingungen heranziehen, um die Dimension der Dotation zu verdeutlichen.

Gerd R. Ueberschär, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg, und Winfried Vogel, 1997 als Brigadegeneral stellvertretender Amtschef im Streitkräfteamt auf der Bonner Hardthöhe, bedienen sich einer geradezu bewunderungswürdig moderaten, anschaulichen Sprache. Dies alles zusammengenommen macht die Studie zu einer spannenden und informativen Lektüre. Sie ist wichtig, denn es ist weder das ganze Ausmaß der „Korrumpierung und Bereicherung der Eliten im NS-Staat“ bekannt, noch die Art, in der sich beides vollzogen hat. Seit Beginn der Weimarer Republik war „die Vergabe großzügiger Dotationen durch das Staatsoberhaupt mit demokratischem Verständnis von der Rolle des Staates und des Bürgers unvereinbar“. Damit wird bereits der erste wichtige Unterschied zu den monarchischen Zeiten deutlich. Hitler hatte als zumindest formal gewählter Reichskanzler einen Etattitel für „allgemeine Zwecke“ zur Verfügung und nach dem Tode von Präsident Paul von Hindenburg Zugriff auf dessen Fonds. Rechnungshof und Parlament hatten als Kontrollinstanzen ihre Bedeutung verloren, und auch das Reichsfinanzministerium, bei dem ein weiterer Fonds des Reichskanzlers untergebracht war, war zur Zahlstelle degradiert worden.

Hitler verstand sich selbst in der Tradition früherer Herrscher, die ihre Untertanen nach Gutdünken mit Geschenken bedachten. Den Anfang machte er spektakulär und noch öffentlich mit dem 85-jährigen Reichspräsidenten. „Anlässlich des Ehrentages von Tannenberg am 27. August 1933“ erhielt von Hindenburg „als Gabe des deutschen Volkes“ die „Befreiung von Reichs- und Landessteuern aufgrund eines Reichsgesetzes und die erhebliche Vergrößerung des Rittergutes Neudeck“, das sich dadurch fast verdoppelte.

Die letzte Symbolfigur des Ersten Weltkriegs bekam bis zu ihrem Tod 1934 einen persönlichen Adjutanten gestellt, „mehrere Hilfskräfte, Fahrer und Dienstwagen“ gewährt und eine preußische Domäne samt 3.500.000 RM Instandsetzungskosten und Steuerbefreiung geschenkt. Diese beiden Dotationen weichen bereits gravierend von der traditionellen Geschenkpraxis ab. Sie wurden zwei Heerführern trotz eines verlorenen Krieges verliehen. Die Geschenke kamen aus dem Volkseigentum, das Geld kam aus dem Steueraufkommen.

Diese Schenkungen wurden wenigstens noch formal durch Gesetze abgesegnet, die späteren wurden als Geheimsache behandelt.

Wer bekam Geld oder Landgüter? Neben den alten Kampfgenossen wurden Politiker und Parteiführer meist mit Geld bedient. Auch Künstler wurden dotiert, wie der Fall Arno Breker zeigt. Breker erhielt auf intensives Betreiben Albert Speers nicht nur ein ausgebautes schlossartiges Anwesen mit Park im Wert von mehr als einer halben Million Reichsmark, sondern ihm wurden auch noch Steuerschulden erlassen, obwohl er sich zur Zeit des Dritten Reichs nicht über Mangel an Aufträgen beklagen konnte.

Die größte Gruppe der Dotationsempfänger waren hohe Offiziere der Wehrmacht. Sie bevorzugten Landbesitz oder nutzten die geschenkten Geldbeträge zum Kauf eines Gutes. Diese Praxis spiegelt sich in dem vernichtenden Urteil Ulrich von Hassels, Diplomat und Freund des Widerstands vom 20. Juli, der unter dem 20. April 1943 in seinem Tagebuch notierte, der Mehrzahl der Generäle seien „die Karriere, die Dotationen und der Marschallstab wichtiger als die großen auf dem Spiele stehenden sachlichen Gesichtspunkte und sittlichen Werte“. Dies ist umso bemerkenswerter, als viele von ihnen aus alten preußischen Familien stammten, die sich öffentlich auf Tugenden wie „Bescheidenheit, einfache Lebensführung, Unbestechlichkeit und ein besonders hoch entwickeltes Ehrgefühl“ zu berufen wussten.

Tugenden, die auch von der NS-Bewegung gern propagiert wurden.

Wer veranlasste eine Dotation? Fürsprecher aus Partei und Armee, Hitler selbst und die Empfänger. Betteln war salonfähig, zumal es meist unter der Hand geschah. Wenngleich die meisten Schenkungen über den Chef der Reichskanzlei liefen, war die Vergabepraxis unübersichtlich und oft zufällig.

Wie verhielten sich die Empfänger? In der Studie werden nur sehr wenige vermerkt, die wenigstens Skrupel empfunden haben, eine Dotation anzunehmen; zu ihnen zählen Generalfeldmarschall Erwin Rommel und General Kurt Zeitzler. Die Mehrzahl hat nicht nur freudig angenommen, sondern oft noch Bedingungen gestellt oder gar mehr verlangt.

Zwei wenig rühmliche Beispiele werden aufgrund der vollständig vorhandenen Akten exemplarisch herausgestellt: Generaloberst Heinz Guderian und Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb. Dessen Dotationsgeschichte begann mit einem diskret überreichten Scheck über 250.000 RM zum 65. Geburtstag am 5. September 1941 „auf einem Gefechtsstand der Heeresgruppe Nord an der Ostfront“. Die Geschichte fand im März 1943 ihre Fortsetzung mit der Bitte Leebs an den Reichskanzleichef, ihm bei dem Erwerb eines Landhauses bei München behilflich zu sein, um den Fliegerangriffen besser entgehen zu können.

Unter größten Schwierigkeiten gelang es, ein unter staatlicher Verwaltung stehendes Waldgrundstück mit Landhaus zu finden, das aber eigentlich zu groß war. Am Ende erhielt Leeb 1944 den Waldhof westlich von Passau; der einen Wert von 888.000 Reichsmark hatte. Am 26. Juli 1944, sechs Tage nach dem Attentat auf Hitler, bedankte sich Leeb handschriftlich beim Reichskanzler „für die großzügige Überweisung der gesamten Summe“ und fuhr fort: „Ich benütze die Gelegenheit, Ihnen für die wunderbare Errettung vor dem ruchlosen Anschlag meine tief gefühlten Glückwünsche auszusprechen. Sieg dem deutschen Heere, Heil Hitler, Leeb“.

Der Fall Guderian ist nicht weniger peinlich. Guderian, dessen Absicht, „in der Heimat seiner Vorfahren wieder sesshaft zu werden“, von Hitler unterstützt wurde, sollte ein Gut im Warthegau bekommen. Im Sommer 1943 reiste Guderian mit einem Sachverständigenstab durch den so genannten Warthegau und besichtigte mehr als 20 vorgeschlagene Güter. Im Oktober 1943 entschied er sich für ein selbst ausgesuchtes Gut, den „Deipenhof“, forderte Instandsetzungsarbeiten an und wurde von der Schenkungssteuer befreit. Wert insgesamt: 1.240.000 Reichsmark. Das Gut hatte einer polnischen Familie von Twardowski gehört, „die in der Vergangenheit dem König von Preußen treu gedient und in der preußischen Armee sogar Offiziere gestellt hatte“.

Beide Fälle zeigen weitere Merkmale, die die Autoren in ihrer vorzüglichen Studie herausarbeiten: Die vormaligen Besitzer, seien sie polnisch, jüdisch oder im Widerstand gewesen, spielen politisch überhaupt keine Rolle. Die Gier und Habsucht der Beschenkten wächst mit der ersten Dotation, und sie sind in den meisten Fällen selbst die treibende Kraft. Anlässe für Dotationen sind häufig Geburtstage, Pensionierungen oder Beförderungen –nicht gewonnene Kriege. Das Beklemmendste aber: Die ganze Verteilung spielt sich ab, während Deutschland dabei ist, den Krieg zu verlieren, die deutschen Städte zerstört und die Lebensmittel für die Bevölkerung rationiert werden.

Bleibt die Frage nach den Motiven Hitlers, derartig umfangreiche Dotationen zu vergeben. Sie sind, so sagen die Autoren, „letztlich als Launen und Willkürakte des Führers“ zu betrachten und als solche „ein – bislang kaum beachtetes – Kennzeichen des nationalsozialistischen Maßnahmenstaates“. Sie sind zudem „als Versuch zu werten, den Empfänger gleichsam von oben zu korrumpieren“, ihn für den nationalsozialistischen Staat zu gewinnen, in bestimmten Fällen eine „nachträgliche Wiedergutmachung“ für geleistete Dienste zu gewähren oder auch zur Vertuschung von Unrechtstaten beizutragen. Die Dotationen schränkten die Unabhängigkeit der Empfänger ein.

„Überraschend sei“, so die Autoren, dass die Beschenkten keinerlei Gespür für die Unrechtmäßigkeit oder Unzulässigkeit des Dotationsvorgangs und für die Korrumpierbarkeit durch den „Führer“ entwicklten. Nach dem Krieg wurden die Dotationen vor dem Nürnberger Gerichtshof und in den Memoiren der betreffenden Nutznießer entweder als „Dank des Volkes für eine verdienstvolle Heerführung“ oder als allgemein übliche Ehrengabe apostrophiert oder ganz verschwiegen. Letzteres umso mehr, als sich Landbesitz, Häuser oder auch Kunstgegenstände, die nicht durch Kriegseinwirkung verloren gegangen sind, noch im Besitz der Familien befinden.

Gerd R. Ueberschär/Winfried Vogel: „Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten“. S. Fischer, Frankfurt a. M. 1999, 302 S., 44 DM

Hinweise:Die politische Elite des NS-Staates zeigte sich habgierig, um sich amVolk zu bereichernHitler machte sich die Nutznießer seiner Gunstbeweise auch politisch gefügig