piwik no script img

fdp rasant: ein leichnam wurde aufgetautMÖLLEMANN IST DRIN

Deutschland hat endlich eine Jugendpartei: die FDP. Die neuen Liberalen können unfallfrei das Wort „Internet“ buchstabieren, sie können Bungee- und Fallschirmspringen, und ihr Personal ist jung und dynamisch, wie der Wahlabend zeigte. Wir sahen Genscher, Hirsch, Brüderle, Kinkel – zusammen gut 250 Jahre alt – und immer wieder braun gebrannt und fit for fun: Jürgen W. Möllemann, 53. Es ist schon erstaunlich, wie die Droge „Politik“ den gut gebügelten Medienmann mit immer neuen Adrenalinstößen versieht, bis er am Ende selbst glaubt, er sei ein „politischer Tausendsassa“.

 Hundert Landtagswahlen lang lag der politische Leichnam der FDP in der Totenstarre. Jetzt hat ihn Möllemann aufgetaut. Vor allem mit den Leihstimmen jener CDU-Wähler, die keine schwarzen Konten wählen wollten. Aber womöglich tatsächlich mit den Stimmen einiger Jungwähler, die keinen ideologischen Inderwahn vom Schlage Rüttgers und keine säuerlichen Partei-Apparatschiks vom Schlage Münteferings wollen, sondern braun gebrannte Fallschirmspringer, die zumindest virtuell Dynamik verbreiten und „Tempo für NRW“.

 Möllemann passt in die Zeit. Wenn Stefan Raab, ohne erdrosselt zu werden, bei einem Chanson-Wettbewerb Fünfter wird, dann darf auch Möllemann neun Prozent holen. Nichts auf der Festplatte, aber kräftig Wind machen. Möllemann ist drin.

 Seine Stärke ist die Schwäche der Grünen. In der Wahl-Talkshow saß die neue grüne Geheimwaffe Fritz Kuhn mit wässrigen Augen in der Runde, als hätte er gerade seinem letzten Gläubiger hinterher telefoniert. Warum lassen die Grünen der FDP ihre Blähungen durchgehen, sich als graue Grufties und „Platt wie die Flunder“ beschimpfen? Weil sie kein Selbstbewusstsein mehr haben und keinen Mumm. Weil sie sozialdemokratisch wundgescheuert sind. Weil sie Jahr für Jahr einen Teil ihrer besten Leute verlieren. Weil sie Angst bekommen, dass sie von Möllemann ausmanövriert werden. Weil sie die Oppositionsbank fürchten.

 Vor lauter Panik verschwindet die Realität: Wer erklärt eigentlich den Grünen, dass sie ein gutes Wahlergebnis erzielt haben? Rot-Grün hat sich aus der Regierungsposition heraus respektabel geschlagen und die Mehrheit verteidigt. Punkt. Aber in den Talkshows sitzen sie wie Schalterbeamte in stillgelegten Kleinstadt-Bahnhöfen und lassen sich die Verliererposition einreden. Von einem wie Möllemann, dessen Partei kaum noch weiß, wie ein Landtag von innen aussieht.

MANFRED KRIENER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen