piwik no script img

Eine späte Karriere

Das deutsch-polnisch-jüdische Verhältnis ließ ihn nicht los: Der polnische Schriftsteller Andrzej Szczypiorski starb im Alter von 76 Jahren in Warschau

WARSCHAU taz ■ „Die schöne Frau Seidenmann“ brachte ihm Weltruhm ein – doch erst nach der Veröffentlichung des Romans auf Deutsch 1988. In Polen konnte Andrzej Szczypiorski nie die Popularität erreichen, die er im Ausland genoss, insbesondere in Deutschland.

Das hing mit Szczypiorskis Themen zusammen. Den Schriftsteller, der als 20-Jähriger am Warschauer Aufstand teilgenommen hatte und bis Kriegsende im KZ Sachsenhausen saß, hat das deutsch-polnisch-jüdische Verhältnis keine Ruhe gegeben. Immer wieder müssen die Helden seiner Romane, Hörspiele und Erzählungen den Zweiten Weltkrieg durchleben und die polnisch-kommunistische Nachkriegszeit. Im Buch „Eine Messe für die Stadt Arras“ – es gilt als sein bester Roman – trotzt Szczypiorski der Zensur und veröffentlicht in Form einer Parabel aus dem Mittelalter eine beißende Kritik am kommunistischen System Nachkriegspolens.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat der junge Szczypiorksi zunächst eine diplomatische Karriere im noch jungen polnischen Staat angestrebt. Tatsächlich ging er Ende der 50er-Jahre als Kultur- und Presserattaché für zwei Jahre an die polnische Botschaft nach Dänemark. Danach arbeitete er als Journalist beim polnischen Radio in Warschau. Nach der Wende 1989 in Polen wird Szczypiorski von der Gewerkschaft Solidarität als Senator in die zweite Kammer des ersten halbdemokratischen Parlaments Polens gewahlt. Doch der Ausflug in die Politik ist von kurzer Dauer. Bei den nächsten Wahlen tritt der Autor nicht mehr an.

Zu dieser Zeit beginnt die späte Karriere des Schriftstellers. Im Buch „Die schöne Frau Seidenmann“ hat Szczypiorski ein in Polen geltendes literarisches Tabu gebrochen: Im Warschauer Ghetto begegnet die schöne Jüdin einem guten Deutschen. Am Dienstag starb der Schriftsteller imAlter von 76 Jahren in Warschau. GABRIELE LESSER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen