: Kabeljau im Klassenkampf
■ Immer auf der Jagd nach „tierischem Eiweiß“: Die DDR-Hochseeflotte sollte zum sozialistischen Aufbau beitragen / Das finden West-Kapitäne noch heute merkwürdig
Es ist der 3. April 1960. Die Kapelle des VEB Fischkombinats Rostock spielt „Muß i denn, muß i denn...“. Die Menschen stehen auf der Mole in Warnemünde und winken. Proviant und Diesel sind an Bord, und auch die Abgesandte der Zentralen Parteileitung hat schon alles Gute gewünscht. Dann sticht die Berthold Brecht in See.
Mit an Bord ist Kapitän Heinz Adler, Anfang Vierzig und Kapitän des damals größten Fischereischiffs der DDR. Eine schneidige Erscheinung, schlank, das Haar streng nach hinten gekämmt. Er befiehlt die Berthold Brecht mit ihrer einhundertköpfigen Besatzung. Ziel der Jungfernfahrt: Der Atlantik. Der Auftrag: Versorgung der Bevölkerung mit tierischem Eiweiß – Makrele, Rotbarsch, Kabeljau. Auf dem Weg durch die Gewässer des Klassenfeindes versucht Heinz Adler erfolglos, einen Kanallotsen von den die Errungenschaften der DDR zu überzeugen. Und auch die Kollegen Kapitäne (West) zeigten sich blind gegenüber der sozialistischen Ordnung (Ost).
Vierzig Jahre später, die DDR ist schon lange untergegangen, geht der Kampf der Systeme weiter. Sogar das Ambiente passt: Kapitän a.D. Heinz Adler sitzt in einem Raum im Schütting, dessen grüner Samt Konrad „Kalter Krieg“ Adenauer garantiert gefallen hätte. Es ist Dienstag abend, drückend heiß, und im Publikum sitzen ältere Herren mit weißen Kurzarmhemden und akkurat rasiertem Nacken: Kapitänsleut' unter sich.
Heinz Adler ist gekommen, um seine Autobiographie „Vom Alex zum Eismeer. Erinnerungen an die Hochseefischerei der DDR“ vorzustellen. Eingeladen hat das Deutsche Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven, das Adlers Erinnerungen herausgegeben hat. Ein Zeitdokument, bereits zehn Jahre vor der Wende im Auftrag des Fischkombinats entstanden.
Ihr Autor: Nacheinander Steuermann, Kapitän, Fangleiter seines Kombinats und eine der maßgeblichen Figuren der DDR-Fischerei, die nach dem Weltkrieg aus dem Nichts aufgebaut werden mußte. 1920 geboren, ein Sachse, der vom Nazismus zum Kommunismus konvertierte und schließlich „Held der Arbeit“ wurde. Walter Ulbricht hat ihm 1961 aus diesem Anlaß die Hand gedrückt.
Im Schütting weht dem alten Fischer zeitweise der Wind ins Gesicht. Die Atmosphäre ist zwar freundlich-interessiert, aber einige West-Kollegen scheinen keine sehr gute Meinung von der DDR-(Miß)wirtschaft zu haben. Von miserabler Hyghiene an Bord ist die Rede, von malträtierten Fischen und – wenn die Landratte nicht fehl geht – schlechter Ausrüstung. Ein Gast berichtet lang und breit „aus meiner Fischdampferzeit“: Im Westen sei es um pure Qualität gegangen, im Osten dagegen um die schnöde Masse.
Tatsächlich war in der DDR-Hochseefischerei einiges anders als im goldenen Westen: Die Planwirtschaft zum Beispiel. „Der Hering, der kostete eine Mark und fünf Pfennige das Kilo, das war untragbar“, sagt Adler heute zum Festpreissystem. Die Produktion einer Dose soll 100 Prozent über dem Verkaufspreis gelegen haben.
Und dann erst die Frauen: Nach dem Vorbild der ruhmreichen Sowjetunion, wo es bereits weibliche „Küchenjungen“ gab, waren zwanzig Damen an Bord der Berthold Brecht gegangen – um die gefangenen Fische zu verarbeiten. Man feierte Bordfeste, und der Kapitän mußte sich um die „sozialistische Moral“ sorgen.
Die richtige politische Gesinnung pflegte der GdK – der „Gehilfe des Kapitäns“. „Das waren die Pastoren an Bord“, sagt Adler heute zu den Polit-offizieren. Und sie scheinen ihre Schäfchen ganz gut betreut zu haben: Die Seeleute gehörten zu den Priviligierten, die den Hoheitsbereich der DDR verlassen konnten. Sie bekamen Devisen. Doch nur drei von ihnen seien „achteraus“ gen Westen gesegelt, sagt Adler, „in all den Jahren“ . hase
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