Die Tamil Tigers stehen vor den Toren Jaffnas

Sri Lankas Armee droht die Tamilenhochburg Jaffna zu verlieren. Die Stadt hat keine strategische, aber hohe symbolische Bedeutung

DELHI taz ■ „Unaufhörliche Wellen“ nennt sich die jüngste Offensive der Befreiungstiger von Tamil-Eelam (LTTE), die in der Eroberung der Halbinsel Jaffna im Norden Sri Lankas gipfeln soll. Nach der Eroberung der Elefanten-Passage, die die Halbinsel Jaffna mit der Hauptinsel verbindet, kämpften sich die LTTE-Truppen in mehreren Angriffswellen bis in die Vororte Jaffnas vor. Zugleich berichtet das LTTE-Radio, dass die Luftwaffenbasis von Palali – neben dem Hafen von Kankesanturai die einzige verbleibende Verbindung der Armee mit der Außenwelt – erstmals unter Beschuss der Artillerie der Guerilla gekommen sei.

Die vollständige Militärzensur erlaubt allerdings keine eindeutige Wertung der Meldungen beider Seiten. Auch die offiziellen Militärkommuniqués verheimlichen nicht, dass die Lage für die Armee ernst ist. Dabei hat die Stadt Jaffna keine strategische Bedeutung. An einer Lagune gelegen grenzt sie an drei Seiten ans offene Land und vermischt sich dort mit umliegenden Dörfern. Bereits von 1990 bis 1995 wurde Jaffna von der LTTE gehalten. Das hinderte die Armee nicht daran, mit der Kontrolle der wichtigsten Brückenköpfe – Kankesanturai, Palali und der Elefanten-Passage – der LTTE die Stirn zu bieten.

Doch der Besitz Jaffnas ist von politischer Bedeutung. Es ist das Zentrum der Kultur der srilankischen Tamilen. Die Eelam-Flagge über dem alten holländischen Fort war fünf Jahre lang ein Symbol dafür, dass die LTTE auch über ein historisches Kernland verfügte. Damals hatte ihr Führer Vellupillai Prabhakaran es allerdings vermieden, einen unabhängigen Staat auszurufen.

Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz befürchten, dass die Zivilbevölkerung immer mehr zwischen die Fronten gerät. Zahlreiche Bewohner der umgebenden Dörfer sollen inzwischen in die Stadt geflohen sein. Gleichzeitig hat auch die Flucht in die Gegenrichtung, auf Inseln in der Umgebung eingesetzt. Dass gerade die LTTE nicht vor Opfern unter der Zivilbevölkerung zurückschreckt, zeigt ein Anschlag am Dienstag im Osten Sri Lankas. Die Bombe wurde mutmaßlich von der LTTE gezündet, als sich Buddhisten in Batticaloa anschickten, das Fest von Besak zu feiern; 22 Tote und 75 Verletzte wurden aus den Trümmern der Festbühne geholt.

Eine erste Fluchtbewegung aus Jaffna über die Meerenge nach Südindien hat inzwischen wieder aufgehört, nachdem die indische Marine Fischerboote mit Flüchtlingen aufgebracht und zurückgeschickt haben soll. Indien beherbergt bereits hunderttausend tamilische Flüchtlinge. Einer größeren Fluchtbewegung begegnet Delhi mit Misstrauen. Man hat hier nicht vergessen, dass die LTTE ihre Nachschubbasen und ihre Infiltration in Tamil Nadu – die im Mord am früheren Premierminister Rajiv Gandhi gipfelte – im Schutz der Flüchtlingsbewegung organisiert hatte. Die laute Unterstützung der LTTE durch Kleinparteien im südindischen Tamil Nadu zeigt zudem die Sympathien, die die in Indien verbotene Organisation als Symbol des tamilischen Separatismus genießt.

Vergangene Woche legte der norwegische Diplomat Erik Solheim von Washington kommend auf dem Weg nach Colombo einen Zwischenhalt in Delhi ein. Damit wollte er die Bedenken Delhis gegen eine Vermittlung Oslos im Tamilenkonflikt ausräumen. Solheim betonte, dass Indien und Norwegen in vier Punkten übereinstimmten: Eine Einigung müsse durch die betroffenen Parteien erreicht werden, sie müsse den Wünschen aller Gemeinschaften Rechnung tragen und ohne Waffeneinsatz und im Rahmen der territorialen Integrität Sri Lankas erreicht werden. Der Emissär erkannte auch die Schlüsselrolle an, die Indien als Regionalmacht mit überlappenden ethnischen Bindungen in jeder Vermittlung spielen müsse.

Inzwischen haben aber andere Staaten auf den Ruf der srilankischen Regierung nach militärischer Unterstützung reagiert. Die Tageszeitung The Hindu berichtete, aus Israel seien Kfir-Jets und Container mit Waffen in Sri Lanka gelandet. Auch Pakistan habe Munition eingeflogen. Zudem sei ein Schiffstransport mit Raketenwerfern unterwegs. Mit Tschechien werde über die Lieferung von Panzern verhandelt. Diese Einkäufe sollten durch eine Erhöhung der „Sicherheitssteuer“ und Kapitalaufnahmen der Regierung finanziert werden.

Präsidentin Chandrika Kumaratunga sicherte ihren Soldaten zu, in einigen Wochen würden sie mit den modernsten Waffensystemen ausgestattet sein. Ob diese noch rechtzeitig einsatzbereit sind, um den Fall der Stadt Jaffna zu verhindern, ist allerdings fraglich. Aber die Regierung hält daran fest, dass eine Aufgabe Jaffnas ein Gesichtsverlust, jedoch kein Ende des Kriegs wäre.

BERNARD IMHASLY