piwik no script img

Schaukämpfe um Milliarden Mark

Rot-Grün verabschiedet die Steuerreform. Nun rüstet die Union zum Kampf im Bundesrat. Hinter den Kulissen bahnen sich schon die Kompromisse an: Der Spitzensteuersatz für reiche Leute könnte weiter auf 42 oder 43 Prozent sinken

von BEATE WILLMS

Die Ruhe täuschte. Als Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) den Entwurf zu seiner Steuerreform 2000 gestern mit den kleinen Änderungen des Bundestagsfinanzausschusses noch einmal abschließend durch das Parlament schickte, schienen nicht einmal mehr die Finanzexperten von Regierungskoalition und Opposition sonderlich engagiert. Sie ließen den Gesetzentwurf mit dem üblichen und erwarteten Stimmenverhältnis passieren. Überraschend ist das nicht, denn gültiges Recht ist die Steuerreform noch lange nicht. Sie bedarf in großen Teilen der Zustimmung des Bundesrates, dessen Finanzausschuss sich in der kommenden Woche mit dem Entwurf beschäftigen wird: Im Länderparlament haben die unionsregierten Länder das Sagen.

Allerdings kann auch das dabei wieder zu erwartende Getöse nicht darüber hinwegtäuschen, dass Rot-Grün und Union hinter den Kulissen längst auf einen Kompromisskurs eingeschwenkt sind. Beide wollen sie die Steuerreform, und sie wollen sie in einer ähnlichen Ausrichtung: mit einer großflächigen Abgabensenkung sowohl für die Privathaushalte als auch für die Unternehmen. Die Union ein bisschen mehr, nämlich bis zu 50,5 Milliarden Mark, SPD und Grüne ein bisschen weniger, schließlich müssen sie künftig mit den Mindereinnahmen auskommen: Wenn der verabschiedete Entwurf Gesetz würde, würde das für die Staatskassen rund 45 Milliarden Mark weniger als heute bedeuten.

Und so wird die Union, obwohl sie den rot-grünen Ansatz, das Vollanrechnungsverfahren gegen das Halbeinkünfteverfahren auszutauschen, für grundfalsch hält, die Reform nicht komplett scheitern lassen – wie sollte sie das der Wirtschaft erklären, die auf geringere Steuern drängt? Außerdem hat Rot-Grün wenig Lust, vom Kernstück der Reform abzurücken. Bislang werden Dividenden im Unternehmen mit 30 Prozent Körperschaftssteuer belegt, die der Aktionär voll auf seine Einkommenssteuer anrechnen kann, während einbehaltene Gewinne mit 40 Prozent, also höher versteuert werden müssen. Der Vorteil: Er zahlt je nach persönlichem Einkommenssteuertarif entweder drauf oder bekommt eine Gutschrift – letzteres allerdings nur, wenn er auch im Inland versteuert. Der Nachteil ergibt sich daraus, dass dieses Verfahren möglicherweise nicht europatauglich ist, weil es Anteilseigner mit Sitz im Ausland benachteiligt.

Beim Halbeinkünfteverfahren sollen Dividenden künftig je zur Hälfte im Unternehmen mit dem Körperschaftssteuersatz von 25 Prozent und mit dem persönlichen Einkommenssteuersatz belastet werden. Das scheint einfacher, bedeutet aber nach Berechnungen des Deutschen Aktieninstituts für Aktionäre mit weniger als 150.000 Mark Jahresbrutto höhere Steuern als heute, während die reicheren profitieren.

Auch die Umstellung ist ein ungelöstes Problem. Allerdings, und das ist Eichels Hauptargument dafür, könnte das Halbeinkünfteverfahren in Verbindung mit dem angeglichenen Steuersatz von ausgeschütteten und einbehaltenen Gewinnen dafür sorgen, dass die Unternehmen das Geld lieber im Unternehmen behalten und dort investieren – im Idealfall in Arbeitsplätze.

Weil Rot-Grün an diesem Punkt also überhaupt nicht rütteln wird, dürfte die Union bei den Verhandlungen etwas guthaben. Da sie den Mittelstand für sich gewinnen will, bietet sich hierfür die Senkung des Spitzensteuersatzes an. Denn während Kapitalgesellschaften wie AGs und GmbHs künftig nur noch 25 Prozent Körperschaftssteuer zahlen sollen, werden Personengesellschaften mit dem Einkommenssteuersatz belegt. Höchstgrenze 45 Prozent. Ungerecht, findet die Union und kann dabei auf die Unterstützung der Grünen zählen, die ebenfalls einen Spitzensteuersatz von „deutlich unter 45 Prozent“ fordern. Auf den Reichstagsfluren munkelt man von einem möglichen Kompromiss bei „42, 43 Prozent“. Eine Alternative wäre die Abflachung der Tarifkurve: Der Spitzensatz könnte statt bei 99.000 Mark wie heute erst bei 110.000 Mark Jahreseinkommen greifen.

Nicht durch kommt die Regierungskoalition vermutlich auch mit der Steuerfreiheit auf Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften, mit der der Finanzminister Ende Dezember die Konzerne und Börsen erfreut hatte. Besonders wegen seiner Begründung: Die aktuelle Körperschaftssteuer von 40 Prozent habe die Konzerne von ihrer Entflechtung abgehalten. Wenn sie abgeschafft werde, könne die Deutschland AG viel leichter umstrukturiert werden. Der Union ist allerdings der Abstand zu den steuerpflichtigen Gewinnen aus dem privaten Verkauf von Anteilen zu groß. Nach Einschätzung von SPD-Politikern wie NRW-Landeschef Wolfgang Clement würde das hehre Ziel, die Unternehmenslandschaft aufzubrechen, auch mit einem halbierten Steuersatz von bis zu 20 Prozent verfolgt werden können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen