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Luxus der Vergesslichkeit

Es geht nicht um die Frage: Ist es wirklich passiert? Sondern um die Frage: Gefällt es? Paul Theroux treibt ein Vexierspiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit: „Mein anderes Leben“

von GUSTAV MECHLENBURG

Katzen sollen sieben Leben haben. Das ist viel. Schriftsteller übertreffen diese Zahl jedoch locker. Sie können ihren Figuren beliebig viel von ihrer eigenen Person beimengen. Das sei ihnen gegönnt. Zumal die Realitätshaftigkeit der beschriebenen Situationen für die Beurteilung eines Romans unerheblich ist.

Anders allerdings stellt es sich dar, wenn ein Autor absichtlich mit dem Vexierspiel zwischen Fiktion und Wahrheit operiert. Das ist in Paul Theroux’ neuem Roman der Fall. Schon der Titel „Mein anderes Leben“ zeugt davon. Aber er zeugt auch von seinem Selbstbewusstsein. Buchtitel wie dieser oder der seines früheren Romans „Mein geheimes Leben“ funktionieren nur unter der Voraussetzung einer gewissen Bekanntheit. Anders zu was? Geheim zu welchen Kenntnissen, die man über das Leben des Autors schon hat?

Der Amerikaner Paul Theroux ist mit seinen mehr als dreißig Büchern einer der bekanntesten englischsprachigen Schriftsteller der Gegenwart. Im deutschsprachigen Raum ist er ein offener Geheimtipp, bleibt aber an Berühmtheit hinter dem zu Lebzeiten mit ihm befreundeten Bruce Chatwin zurück. Sowohl thematisch als auch vom Schreibstil werden beide nicht ohne Grund häufig miteinander verglichen. Doch war Chatwin wohl eher zum Kultautor geboren. Zu behäbig und bildungsbürgerlich wirkt stellenweise das Personal in Theroux’ Romanen. Bis zur Selbstgefälligkeit wird dies in den Schlusskapiteln von „Mein anderes Leben“gesteigert. So dass man stellenweise für Theroux nur hoffen kann, dass die Maske seiner erfundenen Person ihm nicht allzu sehr gleicht.

„Es geht nicht um die Frage: Ist es wirklich passiert? Sondern um die Frage: Überzeugt es, gefällt es?“, so hat Paul Theroux kürzlich in einem Interview zu seinem Roman Stellung bezogen. „Mein anderes Leben“ ist, so scheint es, ein Packen voller Lügen, der in seiner Summe wie eine Art Wahrheit erscheint. Die einzelnen Kapitel sind kunstvolle, in sich abgeschlossene Konstruktionen mit Stimmigkeiten, die das wirkliche Leben in seiner Komplexität niemals erreicht. Achtzehn Kapitel beschreiben die Stationen eines erst werdenden, dann gelingenden und dann kriselnden Literatenlebens. Angefangen von Kindheitserinnerungen in Amerika über die Beschreibung mehrjähriger Aufenthalte in Afrika, Singapur und London bis hin zur Rückkehr in sein Herkunftsland.

In der ersten Hälfte des Buches berichtet der Ich-Erzähler von seinen literarischen Anfängen, hier ist die für Theroux typisch erfrischende Leichtigkeit des Erzählstils zu spüren. Es gibt eine vor Ironie strotzende Schlüsselszene, in der der Erzähler ein Kafka-Buch und die eigenen lyrischen Ergüsse im afrikanischen Lehmboden vergräbt. Die bedrückende Wirklichkeit der Leprastation, in der der junge Mann lebt, lässt ihm seine Gedichte sinnlos erscheinen. Literatur wie Kafkas „Schloss“ empfindet er als Ausdruck von Künstlichkeit und Überheblichkeit. Da Papier hier Luxus ist, ist es unmöglich, die Bücher in die Mülltonne zu werfen. Zu schnell wären sie wieder herausgefischt worden.

Später, in Singapur, seiner zweiten längeren Auslandsstation, sagt der Erzähler: „Von der Lyrik hatte Afrika mich kuriert.“ Zeitweise war die Last des Schreibens von ihm genommen. „Ich lebte jetzt im Luxus der Vergesslichkeit.“ Doch ohne zu schreiben, hält er es nicht lange aus, bald schreibt er eben Romane. Herausragend ist die Beschreibung seines aufkommenden Erfolgs in London. Rezensionsexemplare eigener Bücher mussten schleunigst aus Antiquariaten herausgekauft werden, um den Büchern ihre Bedeutung zurückzugeben. Das ist alles sehr witzig und geistreich. Doch umso berühmter der Autor wird, desto unerträglicher sein Auftreten. Andauernd spielt er mit dem Verschweigen seines Namens. Nur um mit suggestiven Fragen ein Lob zu seinen Büchern zu erheischen. Selbst vor seiner Psychoanalytikerin hält er seine Identität geheim.

Ein Spiel zwischen Realität und Erdachtem wollte Theroux vorlegen; es ist ihm gelungen. Doch die Geschichten, die er dabei erzählt, sind nur zum Teil farbig genug, um geglückt zu sein.

Paul Theroux: „Mein anderes Leben“. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Hoffmann und Campe, Hamburg 2000. 560 S., 49,90 DM

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