Zivildienst geht baden

Parteien wollen Zivildienstleistende durch Freiwillige ersetzen – doch Verbände sind da skeptisch

von ASTRID GEISLER

Als Katharina und Elias ihre Internet-Adresse reservierten, war sie sehr innovativ: „www.zivi-wo-bist-du.de“? Katharina und Elias sind muskelkrank. Der Auftritt im World Wide Web erleichterte den Studenten die mühevolle Suche nach einem passenden „individuellen Schwerstbehindertenbetreuer“. Seit ein paar Wochen jedoch fürchten die beiden um ihre Web-Adresse. Die könnte bald veraltet sein, denn die Spezies „Zivi“ ist vom Aussterben bedroht. Selbst wenn die Wehrpflicht nicht kippt.

Ausgerechnet aus den Sozialverbänden tönt in den vergangenen Tagen das Schlagwort „Auslaufmodell“. Das nämlich sei der Zivildienst, sagt beispielsweise der Bundesgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt, Rainer Brückers. Sein Kollege, Diakonie-Präsident Jürgen Gohde, warnt seit Wochen: Schon ab Juli seien Zivis auf vielen Posten nur noch bedingt einsatzfähig. Jede weitere Kürzung der Dienstzeit mache Verweigerer für die meisten Sozial-Stellen untauglich. Eben deshalb denkt auch die Caritas längst „über den Zivildienst hinaus“.

Aber wer soll die zur Zeit 138.000 Zivildienstleistenden ersetzen? Grüne und FDP präsentieren Antworten darauf. Wollen doch die Grünen mitsamt der Wehrpflicht zugleich auch den Zivildienst abschaffen – die FDP möchte beide Dienste immerhin reduzieren. Geführt wird die Debatte unter dem Stichwort „Konversion“, zu Deutsch: Umwandlung bis zur Abschaffung. Profi-Kräfte und Freiwillige sollen künftig gemeinsam die Zivi-Lücke füllen. So versprechen die Grünen, 90.000 neue, reguläre Arbeitsplätze zu schaffen – ohne zusätzliche Kosten. Sie kalkulieren, Arbeitslose im Sozialsektor einzusetzen: Fährt ein Langzeitarbeitsloser Essen auf Rädern aus, kostet er den Staat jährlich 11.000 Mark weniger; zudem nehmen Bund, Länder und Kommunen 7.500 Mark zusätzlich an Steuern ein.

Was die 90.000 neuen Arbeitskräfte nicht bewältigen können, sollen künftig Freiwillige schultern. Weder Grüne noch Liberale bezweifeln, dass die sich finden lassen, wenn ihnen nur die richtigen „Anreize“ geboten werden – zum Beispiel Bonuspunkte auf den Numerus Clausus oder kürzere Ausbildungszeiten. Doch getestet hat diese Lockmittel bislang keiner. Im Gegenteil: Ausgerechnet Experten warnen vor allzu optimistischen Rechnungen mit Ehrenamtlichen als Zivi-Ersatz: „Das sind ganz unterschiedliche Schuhgrößen“, sagt zum Beispiel Ulrich Frey, Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF). „Wir können nicht auffangen, was da jetzt auf uns zukommt.“ Seine Bedenken: Selbst wenn genügend Freiwillige sich melden würden, müssten sie doch wie Zivildienstleistende bei der Arbeit angeleitet und betreut werden. Das koste Geld, erfordere Organisationsstrukturen. Beides hat laut Frey bisher niemand vorgelegt.

„Der Zivildienst funktioniert nur wegen des Zwangs“, warnt auch Gerd Placke, Leiter der Bremer Freiwilligen-Agentur. „Wenige Freiwillige werden bereit sein, als Lückenbüßer des Sozialsystems zu dienen.“ Schon vor acht Jahren wandelte sich seine Agentur freiwillig von einer Zivi- zu einer Ehrenamt-Organisation. Placke weiß aus Erfahrung: Freiwillige wollen nicht irgendwelche Hilfsjobs machen, sondern interessante Tätigkeiten; und sie wollen, dass ihre Wünsche am Arbeitsplatz beachtet werden. Allein deshalb könnten die Wohlfahrtsverbände sie nicht so „effizient“ einsetzen wie heute ihre Zivis.

Einig sind sich Verbände und Parteien bis jetzt lediglich in einem Punkt: ein allgemeines soziales Pflichtjahr soll es nicht geben. Das würde jedes Jahr bis zu dreistellige Milliardenbeträge verschlingen und vielen jungen Leuten die Motivation nehmen, später auch ohne Zwang sozial zu arbeiten.

So setzen denn auch die Wohlfahrtsverbände zwangsläufig auf eine Zukunft mit Freiwilligen.

Die Caritas zum Beispiel hat ein Konzept für einen „Freiwilligen Zivildienst“ entworfen, der an die Stelle des Ersatzdienstes treten könnte. Der „Freiwillige Zivildienst“ soll jedem und jeder zwischen 15 und 27 offen stehen und je nach Wunsch zwischen 6 und 18 Monaten dauern. Wie Grüne und FDP stellt sich auch die Caritas vor, Freiwillige mit Ausbildungs- und Studienplatzvorteilen zu locken und außerdem „angemessen“ zu bezahlen.

Aber werden solche Alternativrechnungen aufgehen? „Es gibt da eine Unmenge von Untersuchungen, die man mal nachrechnen müsste“, räumt die bayerische SPD-Chefin Renate Schmidt ein, selbst Wehrpflicht-Gegnerin und Freiwilligen-Befürworterin. Eben das hat die Zivildienst-Kommission im Familienministerium aber in den kommenden Monaten noch vor sich. Die Zukunft mit Freiwilligen gibt es bis jetzt nur auf dem Konzeptpapier. Für die geplanten Stellen existieren zum Teil noch nicht einmal genaue Berufsbilder. So sei nicht klar, welche Qualifikationen Professionelle in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung mitbringen sollten, sagt Thomas Knöbelspies, Zivildienst-Referent des Diakonischen Werkes.

Eine Zukunft ohne Zivis können sich die Studenten Katharina und Elias deshalb bisher nicht vorstellen. Wer denn bitte die Profi-Kraft für ihre Betreuung bezahlen solle, fragen die Geschwister. Sicher sei nur eines: Selbst könnten sie das Geld nicht aufbringen.