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„I fuckin` hate my job“

Paranoide junge Zeitgenossen, militante Umweltschützer, Arbeitsfrust, Lebenskrisen und jede Menge Drogen. Das British Independent Filmfestival zeigt eine Woche lang gnadenlos realistisches Kino

von ANDREAS BECKER

Filme in der Originalversion sind eine feine Sache. Vor allem wenn man die Sprache versteht. Um zu kapieren, was in Schottland so geredet wird, muss man wohl entweder betrunken sein – oder gleich Schotte. Auf dem heute startenden British Independent Filmfestival, dem ersten seiner Art in Berlin, werden die Filme nur in Originalversion gezeigt – ohne Untertitel.

Junge Menschen haben Probleme mit ihrer Rolle in der Gesellschaft – und irgendwie ist jeder paranoid, ob gerade auf Droge oder nicht. Beim Küchengespräch zweier Frauen in „Resurrecting Bill“ werden emblematisch Probleme angerissen:„You need to do something before real live passes you by! But real life sucks. We’re already dead to the world.“ Dabei ist Julia erst 22. Aber für sie fängt der Horror schon an, wenn sie nicht in den Club reinkommt. Dann haut ihr auch noch irgendein Idiot die Chips aus der Hand. In der nächsten Szene stellt sie gleich Toaster, Bügeleisen und Radio auf den Badewannenrand. Ihre Freundin vögelt derweil im Treppenhaus mit dem netten Bartender. Dann hören die Drei zusammen laut Musik – so schnell stirbt es sich nicht mit 22.

Richtig klasse ist „Human Traffic“. Der menschliche Verkehr fließt hier vor allem zwischen fünf Freunden, die unter der Woche arbeiten („I fuckin’ hate my job“) und am Wochenende feiern wollen. Eine arbeitet in einem Schnellrestaurant, und hier diktieren die Maschinen nicht nur den Rhythmus, hier werden die Beschäftigten selbst zu Robotern – was sie in einem schmissigen Maschinenmenschen-Ballett karikieren. Der schwarze Plattenverkäufer dreht Kunden eine Maxi für 20 Pfund an – „die wird morgen auf den Index gesetzt“. Und um bei einem Rave reinzukommen spielt man schon mal den Journalisten, der unbedingt eine Geschichte über den Club schreiben will (wer je in London Schlange vor einem Club gestanden hat, kennt die Stories . . .).

Das Leben kann auch im Pub stehen bleiben oder vorangehen. Im „Waggon & Horses“ reden die Männer beim Dart über verbotene Worte wie „vagina“ oder „cunt“. Und dann steht plötzlich eine singende Mohrrübe im Pub – die Schauspielerin im orangen Dress mit Grünkram auf dem Kopf hat sich leider in der Tür getäuscht – dabei wollte sie irgendwelchen Jungs gerade als Geburtstagsgeschenk ihre Tits zeigen. Schade.

Das britische Kino ist vor allem bekannt für seinen fast gnadenlosen sozialen Realismus. Die jüngere Generation verbindet diese Tradition seit ein paar Jahren mit einem Irving-Welsh-mäßigen Kick ins Ecstasyhafte. „Trainspotting“ war vielleicht ein wenig zu over the top (dafür um so erfolgreicher) auf Droge – in den Filmen des Festivals geht’s jedenfalls etwas näher am Fußboden entlang. Und der ist versifft wie eh und je.

Wirklich hart und ernsthaft zur Sache geht’s in „Hold Back the Night“. Charleen und Declan sind auf der Flucht. Das Mädchen rennt weg vorm Vater, der zunächst sie und dann ihre kleine Schwester missbraucht hat. Der Junge kommt aus einem Umweltschützer-Camp, bei dessen rabiater Räumung er (mit seinem Didgeridoo) einen Cop niedergeprügelt hat. Die beiden treffen auf die alte Vera, die sie in ihrem VW-Bus durch die Highlands kutschiert. Dabei wird viel draußen am Lagerfeuer geschlafen. Sie will ihre letzten Stunden gern an den massiven Kultsteinen in Orkney verbringen. Vera stirbt in Frieden, und dann wird sogar noch der miese Alte verhaftet. Dass Charleen zwischendurch fast auch noch von einem Onkel vergewaltigt wird, der die Wohnung voller Kanarienvögel hat, die der Umweltschützer natürlich freilässt, ist vielleicht doch übertrieben. Aber auch wer hauptsächlich „Fuck you“, „Asshole“ und „Bullocks“ versteht, hat seinen Spaß bei diesem Festival.

British Independent Filmfestival, 25. – 31. Mai in den Kinos Acud, Brotfabrik und fsk. Infos: www.future-cinema.de

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