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Wenn die Hilfe keine ist

Pünktlichkeit und menschlicher Umgang: Über die Leistung von Pflegediensten gibt es nicht selten Streit. Angehörige finden bei Kritik nur schwer neutrale Ansprechpartner  ■ Von Sandra Wilsdorf

Elsbeth Blaffert kann ohne fremde Hilfe nicht leben. Seit sie vor einem knappen Jahr einen Schlaganfall hatte, gehört sie zu den knapp 40.000 Hamburgern, die als pflegebedürftig gelten. 24.000 von ihnen werden von ambulanten Pflegediensten betreut. Auch Elsbeth Blaffert. Es ist bereits der dritte Pflegedienst, der zu ihr kommt. Und das liegt an ihrer Tochter Hannelore Blaffert.

Denn die lässt nicht locker. Sie hat den Eindruck, der erste Pflegedienst habe ihre Mutter „gefährlich“ gepflegt. Das ist ein Ausdruck, den selbst Fachleute nicht genau definieren können, mit dem aber ein Pflegedienst auf gar keinen Fall in Zusammenhang gebracht werden will. Es begann, als der Hauptpfleger Urlaub hatte. „Ich habe bemerkt, dass die Dose mit dem Brei nicht leerer wurde“, berichtete Hannelore Blaffert. Dann hat sie in der Pflegedokumentation, in die die PflegerInnen unter anderem eintragen, was sie Elsbeth Blaffert zu essen geben, nachgelesen. Ihr kam seltsam vor, dass eine bestimmte Pflegerin ihrer Mutter fast nie Brei, sondern immer nur Saft und Fruchtmus gegeben hat. Angeblich wegen Schluckstörungen. „Bei mir hatte sie nie Schluckstörungen“, sagt Hannelore Blaffert.

Ihr Vertrauen war zunächst ge- und wenig später zerstört. Die Haare ihrer Mutter seien nicht gewaschen worden, obwohl sie immer wieder Zettel geschrieben und darum gebeten hätte. „Sie stanken und waren fettig und strähnig.“ Auch ihrer Aufforderung, die Mutter regelmäßig einzucremen, sei nicht nachgekommen worden. „Man konnte die Haut von den Füßen abziehen.“ Und die Hände der alten Frau, „die stanken nach Käse“.

Immer wieder habe sie Gespräche geführt, habe es mündlich wie schriftlich versucht. Sie hat sich mehrfach an die Krankenkasse gewandt. Schließlich hat Hannelore Blaffert Kontakt zum Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) aufgenommen, einer Institution, die eigentlich nur die Kassen selber einschalten. Der erstellt nun ein Gutachten.

Gebracht hat es nichts. Der Glaube, ihre Mutter in gute Hände gegeben zu haben, war zerstört. Es kam Pflegedienst Nummer zwei. Aber nur kurz. Und jetzt hat Elsbeth Blaffert einen Dritten. Noch zur Zufriedenheit ihrer Tochter. Sie selber kann ihre Interessen nicht vertreten, also macht das ihre Tochter, und die will nur das Beste.

Die Leiterin des ersten Pflegedienstes weist die Vorwürfe von Hannelore Blaffert zurück. Sie gibt allerdings zu, „dass es uns nicht gelungen ist, sie so in die Arbeit zu integrieren, dass sie ihre Pflege ausreichend gewürdigt sah“. Also ein Kommunikationsproblem?

Der Medizinische Dienst wird es klären. Was bleibt ist, „dass dieser in seinen Ausmaßen sehr ungewöhnliche Fall doch auch sehr typisch ist für die Konflikte in der ambulanten Pflege“, sagt Kirsten Arthecker. Immer wieder gebe es Auseinandersetzungen, „weil es für Pfleger beispielsweise fast unmöglich ist, stets pünktlich zu kommen“. Auch dass im Laufe eines Monats etwa zehn unterschiedliche PflegerInnen zu einem Patienten kämen, treffe häufig auf Unverständnis, lasse sich organisatorisch aber nicht anders machen. Die Abrechnungen bergen ein „unglaubliches Konfliktpotential“. Denn während vor der Einführung der Pflegeversicherung Betreuungszeiten bezahlt wurden, rechnet der Pflegedienst jetzt einzelne Tätigkeiten ab: Waschen, Füttern, Umdrehen, verpackt in sogenannte Leistungskataloge. Während es früher einfach war, zu sagen, ob der Pfleger tatsächlich so lange in der Wohnung war, wie abgerechnet, sind Leistungskataloge intransparent und nur schwer nachvollziehbar.

Überhaupt ist die Situation eines Menschen, der von Pflegedienst und Angehörigen gepflegt wird, ein Nährboden für Konflikte. In der Regel sind es die Frauen, die sich um Mütter, Väter oder Schwiegereltern kümmern. Sie wollen ihr Bestes. Aber sie blicken auch auf eine jahrzehntelange gemeinsame Geschichte zurück, bevor sich die Verhältnisse plötzlich umkehren und die Mutter zur Tochter wird, Eltern zu Kindern. Tag für Tag für Mutter oder Vater da zu sein, belastet das eigene Leben bis zur Nichtexistenz. Darf es aber nicht, sagt das Gewissen.

Und dann ist da die andere Seite: Etwa 400 Pflegedienste gibt es in Hamburg. Sie alle wollen überleben. Ihre Kunden – die Patienten – können ihre Interessen meist nicht wahrnehmen. Können nicht überprüfen, ob der Pfleger auch wirklich nicht mehr in die Pflegedokumentation einträgt, als er gemacht hat. Können sich nicht beschweren, wenn der Dienst Leistungen abrechnet, die er nicht erbracht hat. Und selbst wenn sie es könnten: Viele Patienten haben Angst, fürchten, dass ihre Kritik ein Bumerang ist, dass sie danach noch schlechter behandelt werden.

Deshalb wäre es wichtig, eine neutrale Schiedsstelle zu haben. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen soll so eine Einrichtung sein. Aber die Patienten und deren Angehörige können sich nur in Ausnahmefällen an ihn wenden, müssen über ihre Pflegekassen gehen. Je nachdem welche das ist, hat sie vielleicht jemanden, der sich die Verhältnisse vor Ort ansieht. Oder auch nicht.

Die Verbraucherzentrale hat 1996 bei einem Projekt „Verbraucherschutz in der ambulanten Pflege“ Pflegebedürftige, Angehörige und Pflegende interviewt und die Ergebnisse in einer Studie festgehalten. Außerdem wurde ein Beschwerdetelefon geschaltet. Die häufigsten Beschwerden drehten sich um Abrechnungen, häufige Personalwechsel sowie schlechten mitmenschlichen Umgang. Am Ende hat die Verbraucherzentrale einen Fragenkatalog für Qualitätskriterien eines Pflegedienstes erstellt. „Wir hatten der Sozialbehörde angeboten, das weiterzuführen und eine Datenbank mit allen Hamburger Pflegediensten einzurichten“, sagt Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale.

Aber die Behörde hat sich entschieden, die Sache selber in die Hand zu nehmen. Gemeinsam mit dem Medizinischen Dienst und der Hamburgischen Pflegegesellschaft, dem Dachverband der Pflegedienste, haben sie das Pflegetelefon eingerichtet. Es ist montags bis freitags von 9 bis 13 Uhr besetzt. „Wir haben wahnsinnig viel zu tun“, sagt eine Mitarbeiterin. Kranich kritisiert: „Das ist keine neutrale Instanz, denn der MDK ist auch für die Einstufung der Patienten in die Pflegestufen da, und die Pflegedienste sind natürlich sowieso nicht neutral.“ Außerdem dürften die Mitarbeiter keine Rechtsberatung geben, darum gehe es aber in vielen Fällen.

In Schleswig-Holstein hat Sozialministerin Heide Moser (SPD) gerade gestern Ergebnisse des dortigen PflegeNotTelefons präsentiert. Ein Drittel der Anrufer beschwerten sich über Gewalt. In der häuslichen Pflege stand dabei psychische Gewalt im Vordergrund.

Obwohl die Sozialbehörde das Pflegetelefon als neutrale Instanz bezeichnet, sieht sie offenbar Bedarf für eine zweite Anlaufstelle. Nur kosten soll sie so wenig wie möglich. Die Sozialbehörde unterstützt die Patienteninitiative bei einem Projekt im Bezirk Hamburg-Nord. Dort sollen ehrenamtliche Vertrauensleute die Pflegededürftigen besuchen und ihre Sorgen mit den Pflegediensten aufnehmen. Denn, wie es in einer Broschüre der Patienteninitiative heißt: „Während die stationären Altenhilfeeinrichtungen dem Heimgesetz unterliegen und beispielsweise der Heimbeirat die Interessen der Bewohner vertritt, fehlen solche Instrumente in der ambulanten Pflege.“

Für Stephan Fritsch-Krohn von der Barmer Ersatzkasse fehlt es außerdem an Zulassungsbeschränkungen für Pflegedienste, wie es sie beispielsweise bei Ärzten gibt. „400 Pflegedienste in Hamburg, das ist viel zu viel“. Außerdem sei ein Problem, dass etliche Dienste nur das Nötigste an qualifiziertem Personal hätten und auf absolut jeden Patienten angewiesen seien.

Dass es eigentlich zu viele Pflegedienste gibt, bestätigt auch die Handelskammer. „Da raten wir nur noch in Ausnahmefällen zu“, sagt ein Sprecher. Um einen Dienst zu eröffnen, braucht man nicht mehr als drei ausgebildete Fachkräfte und einen Vertrag mit den Pflegekassen. „Das ist zu wenig“, findet Fritsch-Krohn.

Aber auch ein anderes Verhältnis könnte nichts daran ändern, dass die Pflege eine Situation mit klaren Machtstrukturen ist: Da ist der, der ohne Hilfe nicht leben kann. Und da ist der, der sie ihm gibt. Und manchmal gibt es noch Familie.

Hamburger Pflegetelefon 28 05 38 22Tel.:

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