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Optimismus undder Drang nach oben

In Shanghais neuestem Stadtteil Pudong präsentieren sich das Chinavon morgen und mit dem Jin Mao Tower das höchste Hotel der Welt

von SVEN HANSEN

An der Luijiazui Lu, der Hauptstraße im Finanzdistrikt von Pudong, stehen drei lebensgroße Figuren und schauen staunend nach oben. Sie stellen westliche Touristen dar, zwei Frauen und einen Mann. Die beiden Frauen, ausgestattet mit Fotoapparat und Videokamera, schauen bewundernd hinauf zum Oriental Pearl Tower. Er ist Asiens höchster Fernsehturm und Shanghais neues Wahrzeichen. Die männliche Figur, die einen Rucksack trägt, blickt in entgegengesetzte Richtung ehrfurchtsvoll zum benachbarten Jin Mao Tower auf, dem weltweit dritthöchsten Gebäude und höchsten Hotel.

Einige Schritte weiter stehen drei andere Figuren. Sie zeigen zwei chinesische Geschäftsmänner mit Anzug und Aktentasche und eine chinesische Office Lady im Kostüm. Die drei sehen etwas gelangweilt aus, als warteten sie an der Haltestelle vor ihnen auf den Bus. Vor zehn Jahren gab es hier nur Schilfteiche und Baracken. Die drei wirken jedoch so, als sei es für sie das Normalste der Welt, jetzt an dieser Stelle zwischen Asiens höchsten Wolkenkratzern zu stehen. Denn im Unterschied zu den westlichen Figuren würdigen sie die Megatürme keines Blickes.

Die beiden Figurengruppen bestätigen die Behauptung von Sinologen, dass Chinesen in ihrem Verhältnis zum Westen zwischen Minderwertigkeitskomplex und auftrumpfendem Überlegenheitsgefühl schwanken. Die chinesischen Besucher, die täglich zu den Türmen in Pudong pilgern, lichten sich gern vor den Figuren ab – den westlichen. Von den Aussichtsplattformen des Oriental Pearl und des Jin Mao Tower schauen die Besucher herab auf die Kolonialbauten der Briten und Franzosen am anderen Ufer des Huangpu, wo in den 20er- und 30er-Jahren Shanghais berühmte Uferstraße, der Bund, entstand. Aus dem 88. Stockwerk des 420 Meter hohen Jin Mao Tower wirken die Symbole der Kolonialzeit wie eine Puppenstube aus der Kinderzeit.

„Dieser Turm symbolisiert die Zukunft“, behauptet Tina Liu vom Grand Hyatt Hotel, das im Jin Mao Tower die obersten 34 der 88 Stockwerke belegt. Das Fünf-Sterne-Hotel mit 555 Zimmern gehört zwar einem US-Konzern, aber: „Die Shanghaier sind sehr stolz auf dieses Hotel“, meint Liu. Der pagodenartige Turm mit einer Fassade aus Metallsprossen, die Bambus darstellen sollen, gehört Chinas Ministerium für Außenhandel und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der Name Jin Mao ist die chinesische Abkürzung des Ministeriums, wobei Jin auch für Gold und Mao für Handel und Wohlstand stehen kann. „Der Turm steht in bester Feng-Shui-Lage zum Fluß“, sagt Liu.

Beim Bau des 540 Millionen US-Dollar teuren Gebäudes wurde sehr auf chinesische Symbolik geachtet. Da die Acht im Chinesischen eine Glückszahl ist, bedeuten 88 Stockwerke das doppelte Glück. Der Turm besteht aus 13 Segmenten, wobei die Zahl 13 das Höchste in der buddhistischen Pagodenkultur symbolisiert. Turm und Hotel sind eine einzige Ansammlung von Superlativen. Es gibt 60 Fahrstühle. Der schnellste benötigt für die 88 Stockwerke nur 45 Sekunden. Neben 12 Restaurants und Bars mit insgesamt 2.000 Plätzen gibt es auch die längste Wäscherutsche der Welt, durch die Handtücher und Bettwäsche in die Wäscherei im Keller gelangen. Im Inneren des Turms erstreckt sich von der 56. Etage an ein 30 Stockwerke hoher halbkreisförmiger Innenhof. Von dessen Balkonen gehen nach außen die Zimmer ab. Im 87. Stock ist die höchste Bar, in der 57. Etage der höchste Fitness-Club der Welt einschließlich Swimmingpool. Besucher schauen hier beim Joggen auf Laufbändern auf die Stadt herab.

„Viele Hotels haben eine Präsidenten-Suite, doch wir sind das einzige mit einer Chairman-Suite“, erklärt Hyatt-Sprecherin Liu. Die 300 Quadratmeter große Suite mit der Zimmernummer 8203 hat zwei „King-Size“-Doppelbetten im Schlafzimmer, ein Piano, einen leinwandgroßen Fernseher und auch in Bad und Sauna TV-Geräte. Noch aus der gläsernen Badewanne heraus kann auf die Stadt blicken. Die Suite ist aber im Schnitt nur einmal im Monat belegt. Bei einem Preis von 4.500 Dollar pro Nacht nicht verwunderlich. Die Zimmer, die ab 280 US-Dollar kosten, gibt es in zwei Varianten: westlich oder chinesisch. Bei der chinesischen Einrichtung ziert die goldene Kalligrafie eines Gedichtes aus der Tang-Zeit die rotbraune Stirnseite des Bettes. „Westliche Besucher bevorzugen das chinesische Ambiente, Chinesen das westliche“, so Liu.

Die Tiefgarage verdeutlicht die Klassenunterschiede im Tower. Es gibt 1.000 Parkplätze für Autos und – wohl einmalig für ein so luxuriöses Haus – 2.000 Fahrradstellplätze für die Angestellten. Wer glaubt, dass unter den Hotelgästen kaum Chinesen aus der Volksrepublik sind, weil die sich so etwas gar nicht leisten könnten, der irrt: „30 Prozent der Hotelgäste stammen aus der Volksrepublik, die zweitgrößte Gruppe sind Hongkong-Chinesen, dann erst kommen Amerikaner und Japaner“, so Liu. In den Restaurants seien sogar 90 Prozent der Gäste Chinesen.

In der Umgebung sprießen die Hochhäuser nur so aus dem Boden. Das Finanzviertel Luijiazui ist das Zentrum von Pudongs Drang in den Himmel. Der Stadtteil Pudong, der mit 522 Quadratkilometer Fläche doppelt so groß ist wie Frankfurt am Main, wurde 1990 von der Regierung in Peking zur Sonderzone erklärt. Seitdem werden ausländische Firmen in Pudong mit Vergünstigungen angelockt und einheimische zum Investieren gedrängt. In den vergangenen zehn Jahren entstanden in Pudong 1.000 Hochhäuser mit über 20 Stockwerken, davon 200 Türme mit über 100 Metern Höhe. Gegen Pudong ist der Potsdamer Platz in Berlin eine Kleinbaustelle.

„Pudongs Sozialprodukt ist heute so groß wie das von Shanghai vor zehn Jahren“, sagt Ma Xiejie von der lokalen Entwicklungsverwaltung. Ausländische Firmen investierten 30 Milliarden Dollar in 6.000 Projekte. Seit 1990 entstanden hier Shanghais Börse, Banken, Elektronik- und Autofabriken und ein internationaler Flughafen. Pudong ist nicht nur Chinas modernster Stadteil, sondern auch eine einzige Ansammlung von Filialen führender Konzerne aus aller Welt. „Bald wird ein Drittel der Bevölkerung Shanghais in Pudong leben“, prognostiziert Ma. Zwar stehen etliche Gebäude leer, doch am Zukunftsoptimismus und Chinas Drang nach oben gibt es hier kaum Zweifel.

Neben dem Jin Mao Tower liegt auf der einen Seite ein Golfplatz, auf der anderen ein Baugrundstück. Dort sollte ein 94-stöckiger Turm gebaut werden. Der Plan der japanischen Investoren sah im oberen Teil ein rundes Loch vor, das die Sonne symbolisieren sollte. Das ging den Chinesen, die auf die Japaner wegen deren Verbrechen im 2. Weltkrieg nicht gut zu sprechen sind, zu weit. Chinas höchstes Gebäude mit Nippons Sonne an der Spitze? „Die Behörden stellten sich ein Jahr lang quer“, berichtet Hotelsprecherin Liu. „Jetzt soll das Loch abgedeckt werden.“

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