: Tanzmusik für den Kopf
Der Trompeter Nils Molvaer gastierte mit „Khmer“ im Modernes
Die Emanzipation der Nassrasur! - auch so‘n völlig hirnloser Werbespruch. Die ziehen ja mitunter Schleifen durch die Gehirnwindungen. So am Freitag. Ich trete ins Modernes. Sind noch nicht zu viele Leute da. Flächige Sounds, dann ein beepbeep, aus dem sich langsam ein rumpelnder Junglebeat schält. Und dann hab ich diesen bekloppten Spruch im Kopf. Irgendwann merke ich warum. Analogien bilden. Denn es ist schon eine Veränderung, wenn‘s zu Beginn nicht wabert, sondern schleift, dank zweier Djs, die an turntables Knöpfchen drehen.
„Khmer“ ist eines von diesen Projekten, die man schwerlich mit einer anderen Bezeichnung belegen kann als Crossover. Im Gegensatz zu vielen anderen jazzinspirierten Tanzmusiken ist hier die Trompete des Nils Petter Molvaer weniger soulfull. Was vielleicht daran liegt, dass er aus der alten Osloer Improszene kommt, die - bevor Manfred Eicher vom Plattenlabel ECM auf der Bildfläche erschien - richtig schräges Zeug gespielt hat. Danach kamen unendlich viele Gabarek- und Jarrettscheiben: Schönklangaggregate, die sehr bald sich in Langeweile auflösten, dennoch gekauft wurden wie blöde. Dazu zählen auch „Nude Ants“ aus den späten Siebzigern. Die sind deshalb interessant, weil Jon Christensen da trommelt. Der hat es nämlich geschafft, Breakbeats elegant auf Fell und Metall zu schlagen, als der Begriff noch nicht in aller Munde war. Etwas davon ist auch bei den gereiften „Khmer“ zu spüren. Der junge Schlagwerker nimmt hier den Junglebeat aus der Abteilung Elektro auf.
Ziemlich schlau die Idee des KITO, erstmals mit einem Konzert ins Modernes umzuziehen. Man hätte „Khmer“ zwar etwas mehr Publikum gewünscht. Aber es war eben eine Premiere, die vor allem darum aufging, weil die „tanzende“ und die „hörende“ Zuschauerhaltung gleichberechtigt nebeneinander standen.
Die Verquickung von Groove und Instrument funktioniert hier anders als bei vielen „Urban Jazz“ Geschichten. Die (etwas veränderte) „Khmer“-Besetzung agiert mutiger als noch bei der letzten Tournee, fast als glaubten sie erst jetzt wirklich an ihr Konzept. Das hört man. Waren vordem noch flächige Sounds vorherrschend, wirkte vordem der Einsatz von Elektronik eher uninspiriert, so ist dies nun einem spannenden Hin- und Hergespringe zwischen Styles und Sounds gewichen. Das bedeutet einerseits, dass der häufig mit dem „späten“ Miles Davis verglichene Molvaer sich den einen oder anderen Ausflug in Impro-Gefilde gönnt, andererseits erweisen sich Elemente der ECM-Schule als durchaus zeitgemäß. So, wenn der Gitarrist - der mitunter allzu ausladend wird - auf aufgerissene Cluster zurückgreift, um davor oder danach mal ein trockenes Funkriff hinzulegen. Oder das Schlagzeug switscht zwischen freien, fragilen und hardcorelastigen Beats. Ein beeindruckender Klangtrip!
Tim Schomacker
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