: Kevin Keegan, die saure Gurke
Der englische Teamchef demontiert sich nach dem 1:1 gegen Brasilien lieber selbst, bevor es die Boulevardpresse tut
LONDON taz ■ Noch zwölf Tage bis zur Europameisterschaft, und eine wichtige Entscheidung ist schon gefallen: „Ich will eine Gurke sein“, gab der Trainer der englischen Fußball-Nationalelf, Kevin Keegan, bekannt. Als England 1992 das letzte Mal maßlos enttäuschte, erschien auf dem Titel von The Sun per Fotomontage eine Kreuzung aus dem Gesicht des damaligen Nationaltrainers Graham Taylor und einer Zwiebel. Das Bild blieb: „Zwiebel, Zwiebel, wink einmal!“, rufen die Zuschauer noch heute, wenn Taylor in den Stadien erscheint. Keegan hat dem vorgegriffen, mit der Gurke. Keegan agiert, er reagiert nicht.
Das 1:1-Unentschieden im Testspiel vor 74.000 Zuschauern am Samstag im Londoner Wembleystadion gegen den viermaligen Weltmeister Brasilien fügte sich nahtlos in die Reihe mittelmäßiger Vorführungen, die England in dem einen Jahr unter Keegans Führung bot. In elf Partien hat die Elf zwar nur einmal verloren, aber nie überzeugt.
Das Einzige, was diesmal wirklich besser war, war der Name des Gegners. „1:1 gegen Brasilien, das liest sich später mal gut im Lebenslauf“, glaubt Keegan, aber auch nur in einem tabellarischen, ohne weitere Ausführungen zum Spiel.
Den Brasilianern, bei denen Bayern Münchens Stürmer Giovane Elber auf der Ersatzbank blieb, genügte es, im Ballbesitz zu sein. Je länger das Spiel dauerte, desto öfter passten sie den Ball quer. Ihr Mittelfeld mit Rivaldo, dem Weltfußballer des Jahres, sowie Ze Roberto und Emerson, den Leverkusenern, war merkwürdig unbeteiligt. „Sie schienen ganz zufrieden mit dem Unentschieden“, vermutete Stürmer Michael Owen, der England in Führung (38.) geschossen hatte, „vielleicht heißt das, dass sie Angst vor uns hatten.“ Wahrscheinlicher ist leider, dass sie keine große Lust hatten auf ein bedeutungsloses Match.
Wie bereits beim 0:0 gegen Argentinien im Februar zeigte sich Englands Problem, ein Angriffsspiel aufzuziehen, wenn der Gegner das Tempo aus dem Spiel nimmt. Erfreuliches gab es nur im Detail. Zwei, drei schöne Kombinationen. Mehr nicht.
Es gab nur einen, der aus dem Mittelmaß herausragte. Der 20-jährige Owen meldete sich zurück in der Weltklasse. Fünfmal rissen im zurückliegenden Jahr Muskelfasern im Oberschenkel, am Samstag war „der Junge wieder der Alte“, sagte sein Mitspieler Paul Ince. Die Sprints, die Dribblings, das Tor – Owen zeigte wieder alles, was ihn bei der Weltmeisterschaft 98 über Nacht zur Sensation machte. „Von heute aus betrachtet, haben mir die Verletzungen eine optimale EM-Vorbereitung ermöglicht: Wegen ihnen konnte ich nur 30 statt 60 Saisonspiele bestreiten, und jetzt bin ich ausgeruht und fit“, sagte er.
Es war schön, diesen kleinen, netten Kerl wieder glücklich zu sehen. Und falls er die deutsche Abwehr bei der EM quälen sollte – die Deutschen müssten die Verantwortung im eigenen Team suchen: Geheilt hat Owen Hans Müller-Wohlfahrt, der deutsche Mannschaftsarzt. RONALD RENG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen