: Beschwerter Dialog
Der Diskurs zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft erfordert prinzipielle Offenheit. Aber darf und soll man auch mit politischen Islamisten diskutieren? Wer zieht die Grenze, und wo liegt sie?
von THOMAS HARTMANN
Einen „Flirt mit Islamisten“ warf Eberhard Seidel in der taz vom 6./7. Mai insbesondere der Friedrich-Ebert-Stiftung und „allen voran“ der Heinrich-Böll-Stiftung vor. Als Organisator von deren Dialogveranstaltungen mit Muslimen würde ich „verstärkt auf Milli Görüs setzen“. Da ist jedenfalls ein dicker Spritzer Polemik dabei, da er gerade mal vier Referenten von insgesamt 29 Muslimen und noch mal so vielen Nichtmuslimen problematisiert, die zu den insgesamt acht einzelnen Podiumsdiskussionen und drei Konferenzen eingeladen wurden, die ich zwischen November 1999 und Mai 2000 für die Heinrich-Böll-Stiftung und neun lokale Kooperationspartner in Berlin, Frankfurt/M, Hannover und München organisiert habe.
Aber richtig ist, dass die genannten Stiftungen bei solchen Dialog-Veranstaltungen auch (!) Vertreter von Milli Görüs oder möglicherweise nahe stehenden Vereinen oder Instituten als Podiumsteilnehmer eingeladen haben. Deshalb über einen „Flirt mit Islamisten“ zu polemisieren, basiert auf freier Phantasie in Bezug auf die Intention. Es ging und geht darum, im öffentlichen Raum einen gesellschaftlichen Diskurs zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft über die Konsequenzen einer multireligiösen Gesellschaft, über staatsrechtliche Reformanforderungen wie über die Regeln im Zusammenleben zu fördern. Wir alle – also Muslime wie Nichtmuslime – müssen erst noch lernen, was der Respekt vor kultureller bzw. religiöser Differenz im Alltag fordert, wo genau die Grenzen liegen, wie eine Kommunikation angesichts unterschiedlicher Referenzsysteme, wundgescheuerter Empfindlichkeiten und gegenseitiger Vorurteile geführt werden kann. Denn das Bewusstsein über die neue Situation tröpfelt erst langsam in unsere Hirne und noch langsamer in unser Verhalten oder gar in notwendige rechtliche Reformüberlegungen.
Kern der Auseinandersetzungen ist die Frage, wo liegen die Grenzen des Dialogs? Ich schlage vor, dies nicht nur von den gesellschaftlichen Grundpositionen her zu bestimmen, die von den Beteiligten vertreten werden, sondern immer in Kombination mit ihrer gesellschaftlichen Relevanz. Erst wenn beides dagegen spricht – etwa bei den Kaplan-Anhängern – hat der Dialog keinen Sinn. Die Einladung zu einer Diskussion – zu einer öffentlichen Auseinandersetzung – ist nicht zu verwechseln mit einem inhaltlichen Gütestempel. Ausgrenzung ist immer auch ein Zeichen der Schwäche, der inhaltlichen oder der gesellschaftlichen. Schließlich muss man das gesellschaftliche Kräfteverhältnis im Auge haben: Solche Dialogveranstaltungen von Institutionen der Mehrheitsgesellschaft sind ja kein Rekrutierungsfeld für Milli Görüs.
Es mag die Angst von Politikern geben, sich nicht mit einem Islamisten – was auch immer das heißen mag – an einen Tisch zu setzen. Aber hier geht es um einen zivilgesellschaftlichen Dialog, der prinzipielle Offenheit verträgt und seiner Intention nach erfordert. Für die Mitarbeiter in unzähligen Behörden, in Schulen, in Sozialverwaltungen findet diese Begegnung im Alltag schließlich auch statt. Ich sehe es nicht als Aufwertung, sich mit den Beteiligten, selbst mit Vertretern kritisierbarer Positionen, auch öffentlich auseinander zu setzen. Irgendwo gibt es auch hier Grenzen, die aber sollten nur aufgrund konkreter Aussagen oder Handlungen der fraglichen Personen gezogen werden, nicht qua weit gespannter und zudem spekulativer organisatorischer Zuordnung.
In der Kritik werden kühne Bogen geschlagen: Milli Görüs sei wie die DVU – beide nicht gesellschaftsfähig, die einen Rechtsradikale, die anderen Islamisten. Und um Milli Görüs herum, so die Kritik, gebe es eine ganze Szene von verkappten Islamisten, von Milli Görüs „zentralistisch dirigierte Vereine und Institute“, die ihre organisatorische Verbindung zu Milli Görüs perfiderweise nicht zugeben. Dieses organisationsfixierte Verschwörungsszenario lässt die Dynamik innerhalb der islamischen Szene völlig außer Acht. Schlimmer noch, es kettet die betroffenen Menschen geradezu an die kritisierten Positionen. Gefallen ließe ich mir eine begründete Kritik an der Arbeit der eingeladenen Institute – und selbst dann kann es noch sinnvoll sein, sich damit auch öffentlich auseinander zu setzen.
Solche Veranstaltungen können, das ist ihre Chance und ihr Ziel, bei allen Beteiligten – Muslimen wie Nichtmuslimen – Lernprozesse auslösen und eine Dynamik in der Meinungsbildung stärken. Bezogen auf die muslimischen Organisationen Deutschlands ist dabei wichtig zu wissen, dass diese in den letzten Jahren wichtigen Veränderungen unterworfen sind (was übrigens auch die Brauchbarkeit von Studien einschränkt, die zwei, drei oder noch mehr Jahre alt sind): Die Vertreter aus der ersten Migranten-Generation, die stark auf ihre Herkunftsländer orientiert waren, werden allmählich von jungen Muslimen der zweiten Generation abgelöst, hier geboren, perfekt Deutsch sprechend, moderne junge Leute, aber eben Muslime. Wer wollte, konnte diese Dimension auf der Konferenz in Frankfurt vor einer Woche sinnlich wahrnehmen. Und diese neue Generation dynamisiert die interne Diskussion. Ganz besonders geht diese Dynamisierung von jungen Frauen aus, die – den Muslimen geht es nicht besser als allen anderen – gegen patriarchalische Verhaltensweisen und Meinungen aufmupfen, wenn auch nicht explizit vor den Augen der nichtmuslimischen Öffentlichkeit. Man muss schon selber auf die Nuancen aufpassen. Solche TrägerInnen neuer Ideen werden durch eine Etikettierung der offiziellen Organisationslinie schlicht zurückgeworfen. Hinzu kommt natürlich, dass nicht einmal die Beteiligung an Milli-Görüs-Aktivitäten – und schon gar nicht die Zugehörigkeit zu der sie umgebenden Szene – automatisch eine gesellschaftspolitische Übereinstimmung mit der Organisation bedeutet. Viele nehmen schlicht die sozialen und Freizeitangebote wahr oder haben Kontakt, weil sie eher unter der Ausgrenzung der Mehrheitsgesellschaft leiden.
Die von Eberhard Seidel propagierte Entlarvungsstrategie trifft bei allen Muslimen einen wundgescheuerten Punkt (und löst daher Abwehrreaktionen und Solidarität untereinander aus): nämlich den ständigen Rechtfertigungsdruck gegenüber dem Fundamentalismus-Verdacht. Es gibt völlig private soziale Initiativen wie Kindergärten in Berlin, die möglichst verschweigen, dass sie im muslimischen Milieu und selbstverständlich auch an islamischen Wertvorstellungen orientiert arbeiten, weil das Etikett „islamisch“ bei Unterstützungsanträgen in der Behörde sofort alle Alarmglocken läuten lässt und Schwierigkeiten heraufbeschwört. Dass dieser Rechtfertigungsdruck besteht, muss bei jedem gesellschaftlichen Dialog beachtet werden, gerade bei der Frage, wie man Kritik wirkungsvoll ansetzt.
Hinweise:Die Ausgrenzung Andersdenkender ist immer auch ein Zeichen der SchwächeWas fordert der Respekt vor kultureller Differenz im Alltag?
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