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Armer Tabakneger

Schon jetzt gewählt: die dümmste Karikatur des Jahres

Zuletzt war es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen L. Murschetz (Die Zeit), H. Haitzinger (Bunte) und J. Tomicek (Kölnische Rundschau). Doch spätestens seit heute steht der Sieger fest: Mit seiner Allegorie „Dicke Bertha, armer Neger“ hat der Werler Zeichner Tomicek den diesjährigen Wettbewerb um die „dümmste Karikatur des Jahres“ vorzeitig für sich entschieden und in beeindruckender Weise bewiesen, dass sich jemand vom Mietling eines Lobbyisten zum Hausmeister seines Fachs hochdienen kann.

Auf einer wackligen, von Holzstreben mühsam zusammengehaltenen Rampe, deren Fahrbahn so eckig, ja spitzkehrig verläuft, dass kein Auto den Weg hinauf bis zum Ende finden könnte, steht ein Lastkraftwagen – beschriftet mit den Buchstaben „WHO“. Der Dreiachser lädt eine papierne Last ab – beschriftet mit „$“-Zeichen. Es sind Geldscheine, die zu Boden wehen, vor allem aber in eine beschriftete Riesenkanone rutschen, die auf hölzernen Rädern an die Rampe herangerollt wurde und „Welt-Nichtraucher-Tag“ heißt.

Wer aber ist „WHO“? Wer mag sich hinter dem Akronym verbergen? Die britische Rockgruppe „The Who“, die mit einer Geld verpulvernden Riesenkanone ihre Reunion am Welt-Nichtraucher-Tag feiert? Oder ist es die Welt-Heimwerker-Organisation, die aus Verzweiflung über all das bei misslungenen Reparaturen durchgebrachte Geld ihre Dollars gleich hier abliefert, um sie in die Luft blasen zu lassen?

Nein, nein, weit gefehlt. Im Mittelpunkt der Allegorie und direkt hinter der Dicken Bertha steht mit hängenden Armen und drei bis vier Fingern an den Händen: Herr Neger – das Opfer der Welt-Gesundheits-Organisation WHO. Die dicken Lippen abwartend gewölbt, die großen Augen fassungslos aufgerissen, das Kraushaar ungebändigt, rutscht des guten Negerleins abgerissene Lumpenhose vor Staunen beinah die Beine hinab und gibt auch schon ein wenig des schwarzen Bauches preis, der sich hungrig ins Bild wölbt.

Die Dicke Bertha aber wird bald losrauchen, eine Zündschnur streckt sich keck in den Himmel. Und da zündet es endlich auch im Hirn des Betrachters. Es ist dies eine Zeichnung aus dem Fach der „satirisch-kommentierenden Darstellung von Menschen oder gesellschaftlichen Zuständen“ (Brockhaus) – eine Karikatur als aufrüttelnde Auftragsarbeit des „verbandes der cigarettenindustrie“, der sich zwar modisch klein und mit c schreibt, ansonsten aber altbackene Lobbyarbeit zum Welt-Nichtraucher-Tag am morgigen Mittwoch betreibt. Mit Hilfe der Tomicek-Karikatur bemüht sich der Kippenfachverband, das Niveau der Nikotinfeinde und ihres mörderisch dummen Slogans „Lass dich nicht für dumm verkaufen! Tabak ist der Killer!“ soweit zu unterbieten, dass selbst uns alten Stabbelfreunden die Lust zu rauchen fast vergeht. Schließlich schmauchen auch wir gern mal eine weg, aber dass ausgerechnet die Tabakindustrie als Verteidigerin der armen Neger auftritt, ist uns denn doch ein zu dicker Lügenstumpen.

Allerdings ist das Wesentliche der Allegorie noch gar nicht ins Blickfeld geraten, und erst bei genauerer Betrachtung des Blattes spürt man die Vibrationen, die von der Karikatur ausgehen. Nach seiner Mietzeichenarbeit nämlich ist Tomicek selbst den einzig möglichen Weg gegangen: In diesem Moment sitzt er im Inneren der Dicken Bertha und wartet darauf, dass Herr Neger sich gemächlich ein Stäbchen ansteckt, die Zündschnur zum Brennen bringt und Tomicek in ein paralleles Zeichenuniversum schießt. MICHAEL RINGEL

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