: Dummheit erklärt nicht alles
Robert Anton Wilson hat 500 Verschwörungstheorien in einem Lexikon gesammelt. Sie sollten nur einzeln genossen werden, sonst wird’s anstrengend
Sie sind noch nie von Außerirdischen entführt worden? Und die haben Sie auch noch nie sexuell belästigt? Nein? Da irren Sie sich aber! Garantiert. Gerade dass Sie so sicher sind, dass Sie noch nie die Geisel von extraterrestrischen Wesen waren – gerade das ist der Beweis dafür, wie raffiniert diese Außerirdischen sind!
Sie glauben es immer noch nicht? Dann haben Sie trotzdem keine Chance. Denn es handelt sich um eine klassische Verschwörungstheorie. Und die haben alle „eine seltsame Schleife in ihrer Konstruktion: Jeder Beweis gegen sie funktioniert gleichzeitig als Beweis für sie, wenn man die Dinge so sehen will.“ So Robert Anton Wilson, der es wissen muss: Seit dreißig Jahren sammelt und erforscht der amerikanische Kultautor Verschwörungstheorien; jetzt hat er sie in einem Lexikon zusammengefasst. Über fünfhundert Einträge sind auf diese Weise zusammengekommen, ohne dass Wilson dabei Vollständigkeit angestrebt hätte.
Verschwörungstheorien gedeihen schon deswegen bestens, weil es ja tatsächlich Verschwörungen gibt. Ein gutes Beispiel dafür sind etwa die Geheimdienste. Ihre Existenz beweist zwar nicht, dass Komplotte drohen – wohl aber sind die Agenten existentiell daran interessiert, mögliche Verschwörungen zu erahnen und in Vermerken plausibel abzuhandeln. Ihr Arbeitsplatz hängt daran. Und schließlich sind Verschwörungstheorien auch allseits gefragt, weil sie ganz einfach eine Welt erklären, die sonst kompliziert und nur schwer zu verstehen ist.
So wird Realität fließend: von gesichert zu wahrscheinlich, zu möglich, zu denkbar. Vom UFO über die Dolchstoßlegende bis zur italienischen P 2-Loge gilt: „Bloß weil du nicht paranoid bist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.“ Und ein anderer einleuchtender Glaubenssatz: „Dummheit kann nicht alles erklären, was auf diesem Planeten schief läuft.“
Trotzdem: 500 Verschwörungstheorien in einem Lexikon hintereinander, das ist eine anstrengende Lektüre. Und nur einzeln genossen sind die Einträge zwar lustig, aber oft so knapp, dass sich die Komplott-Ideen nicht immer erschließen. Wirklich zu empfehlen ist dagegen die Homepage des Autors. Dort hat er seine Lieblingsverschwörungen aufgelistet und verlinkt (www.rawilson.com). So ist mühelos zu erfahren, dass man nicht die Erste war, die sich für die Entführung und den sexuellen Missbrauch durch Außerirdische interessiert hat. Vor mir waren dieses Jahr schon 72 Millionen Internetbesucher da.
ULRIKE HERRMANN
Robert Anton Wilson: „Das Lexikon der Verschwörungstheorien“. Hg. und bearb. von Mathias Bröckers. Eichborn Verlag. Frankfurt 2000, 402 S., 44 DM
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